Mit ‘Pressefreiheit’ getaggte Artikel

Samstag, 27. November 2010, von Elmar Leimgruber

New Media Journalism Award geht an “das biber”

ÖJC-Chef Fred Turnheim mit das biber-Onlinechefin Ivana Martinovic

Die Onlineausgabe des Multikulti-Magazins “das biber” ist am Freitag Abend im Rahmen des ÖJC-Adventfestes mit dem diesjährigen “New Media Journalism Award” ausgezeichnet worden. “Hier handelt es sich eindeutig um ein Pionierprojekt in der österreichischen Medienlandschaft für Wienerinnen und Wiener, die einen Hintergrund als Migranten haben, aber bereits in der zweiten oder dritten Generation in der Bundeshauptstadt leben”, begründet ÖJC-Präsident Fred Turnheim die Entscheidung des ÖJC-Vorstandes. Der ÖJC-Vorstand hat heuer einstimmig “das biber” gewählt.

Im Türkischen und im Serbokroatischen steht der Begriff biber für Paprika und Pfeffer. dasbiber.at berichtet laut ÖJC über und aus den multiethnischen Communities in Österreich und zwar auf Basis einer unabhängigen, demokratischen, pluralistischen, rechtsstaatlichen und jeden Extremismus ausschließenden freien Gesellschaftsordnung. Diese Website versteht sich als transkulturelles Internet Portal für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Österreich. Der “New Media Journalism Award” wird jedes Jahr für hervorragende journalistische Leistungen im Bereich des Online-Journalismus vom Österreichischen Journalisten Club (ÖJC) vergeben.

Das ÖJC-Adventfest
Foto: © Leimgruber

Einen wichtigen Erfolg für die Pressefreiheit konnte Turnheim am Abend ebenfalls vermelden: Der geplante § 278f StGB, der Journalisten leicht in die Nähe terroristischen Handelns gebracht hätte, und gegen den der Journalistenclub gekämpft hatte, fällt offenbar. “Für uns war der § 278f eine dramatische Einengung der Berichtsmöglichkeit für Medienmitarbeiter und wäre daher eine Zensurmaßnahme gewesen”, so ÖJC-Präsident Fred Turnheim.

In seiner Stellungnahme (24/SN-119/ME) an den Justizausschuss vom 11. Jänner des heurigen Jahres hatte der ÖJC festgestellt: “Der ÖJC fordert daher die ersatzlose Streichung des Paragrafen 278f StGB, da er einerseits die Pressefreiheit drastisch einschränkt und andererseits keine Straftat und deren Vorbereitung oder aber auch die Verleitung dazu verhindern wird können.

” Erfreulich ist nun, dass der Justizausschuss sich der Meinung des ÖJC angeschlossen hat. Der ÖJC konnte damit diesen Versuch der Aushöhlung der Pressefreiheit in Österreich erfolgreich bekämpfen und damit eine Kriminalisierung des Journalistenberufes verhindern”, freut sich der ÖJC-Präsident Turnheim. Der ÖJC schlägt zudem ein Europäisches Medienrecht und ein Europäisches Urheberrecht vor.

Die ausführliche Stellungnahme des ÖJC im Rahmen des Begutachtungsverfahrens ist auf der Parlamentsseite online.

Mittwoch, 10. November 2010, von Elmar Leimgruber

DJV: Verlage demontieren Journalismus

DJV-Chef Michael Konken
Foto: djv.de Michael Ebner

“Die Verlagsmanager sind dabei, einen ganzen Berufsstand zu demontieren und gefährden ihre eigene Zukunft,” warnte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken bei der Eröffnung des DJV-Tages  2010 in Essen. Schließlich hingen auch Abonnements und Verkäufe von der Qualität ab, die in den Redaktionen produziert werden. “Wir haben in den vergangenen Jahren mit viel Verständnis den Verlagen über schwierige Zeiten geholfen und Einbußen hingenommen”, sagte Konken. Aber: “Das geht so nicht weiter!”

Der Erhalt redaktioneller Arbeitsplätze und des Auftragsvolumens für Freie gehört demnach zu den wichtigsten Aufgaben der Tarifpolitik. Der Deutsche Journalisten-Verband erwartet daher von den Medienarbeitgebern, dass für die Arbeitsplätze der Journalistinnen und Journalisten die Flächentarifverträge in vollem Umfang gelten. Und das Urheberrecht dürfe nicht angetastet werden. Auch müssten Journalistinnen und Journalisten ihre Beiträge weiterhin mehrfach verwerten können. An den Erlösen der Verlage aus einem Leistungsschutzrecht müssten die Journalisten angemessen beteiligt werden, forderte Konken.

Gegen den Missbrauch von Leiharbeit übte erneut der DJV-Vorsitzende Kritik: Wichtig sei die zeitliche Begrenzung der Leiharbeit auf maximal zwei Jahre und eine konsequent gleiche Bezahlung. “Die Umgehung von Tarifverträgen ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Anschlag auf die Sozialpartnerschaft in den Verlagen.” Mit großer Mehrheit nahmen die Delegierten des DJV-Tags auch die Forderung nach einem Tarifvertrag zur Qualifizierung von Journalisten an.

Der DJV-Verbandstag legte zudem ein klares Bekenntnis zum Informantenschutz ab und forderte ein Ende der Online-Durchsuchungen ebenso wie den Stopp von Plänen des Gesetzgebers, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Eine deutliche Absage wurde auch der nachrichtendienstlichen Überwachung von Journalisten und der Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Rahmen der Akkreditierung zu Großveranstaltungen erteilt. Die DJV-Delegierten sprachen sich darüber hinaus für die Gleichbehandlung aller Berufsgeheimnisträger und gegen Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat aus, die sich gegen Journalisten richten.

Am Rande seiner Tagung hat sich der Deutsche Journalisten-Verband solidarisch mit dem schwer verletzten russischen Journalisten Oleg Kaschin erklärt: Er fordert in einer öffentlichen Stellungname den russischen Präsidenten Dmitrij Medwedew auf, den Überfall auf Kaschin lückenlos aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Kaschin war Ende letzter Woche überfallen und mit gebrochenen Beinen, Fingern und einem gebrochenen Kiefer sowie einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert und in künstliches Koma versetzt worden. Ähnlich zu diesem Fall äusserten sich auch der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) und Reporter ohne Grenzen (ROG), die vor allem kritisieren, dass in den vergangenen zehn Jahren sei kein einziges Verbrechen gegen Journalisten in Russland aufgeklärt worden sei.

Dienstag, 2. November 2010, von Elmar Leimgruber

Netzwerk Recherche fordert Akteneinsicht

Die Stärkung der Recherchefreiheit durch Ausbau des Akteneinsichtrechts, die schnellere Bearbeitung von journalistischen Anfragen und die Abschaffung des “fliegenden Gerichtsstands” fordert die deutsche Journalistenorganisation Netzwerk Recherche (nr). Auf ihrer Presserechts-Konferenz beim Erich-Brost-Institut in Dortmund tauschten sich Journalistinnen und Journalisten aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland über die Auskunftspflichten staatlicher und quasi-staatlicher Einrichtungen und über die Bedrohungen der Pressefreiheit durch die Behinderung der journalistischen Arbeit aus.

Dabei wurde laut den Veranstaltern deutlich, dass sich viele Behörden nach wie vor verweigern, den rechtlich garantierten Auskunftsansprüchen zu genügen. “Behörden konzentrieren sich gern auf Informationen, die sie in einem guten Licht erscheinen lassen”, so nr-Vorstandsmitglied David Schraven. “Deshalb fordern wir ein Akteneinsichtsrecht für Journalisten, damit die von einer Behörde gegebenen Auskünfte überprüft werden können.”

Ein Akteneinsichtsrecht gibt es gegenwärtig bereits bei Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und dem Umweltinformationsgesetz (UIG). Doch auch hier versuchen Ministerien und Behörden immer wieder, Antworten auf legitime Anfragen von Journalisten in der Tradition des “Amtsgeheimnisses” abzulehnen oder hinauszuzögern. Wie Teilnehmer der Konferenz berichteten, engagieren Ministerien oftmals hochbezahlte Anwaltskanzleien, um sich der Anfragen nach IFG oder UIG zu entledigen. “Offensichtlich soll der oft jahrelange Rechtsstreit die Journalisten zermürben”, so David Schraven. Deshalb fordere netzwerk recherche, dass Anfragen in der gesetzlich vorgesehenen Zeit bearbeitet werden. Um eine unsachgemäß lange Bearbeitung zu verhindern, müssten Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden.

Die Konferenz begrüßte hingegen die Pläne der deutschen Bundesregierung, wonach Journalisten in ihrer Arbeit künftig nicht mehr wegen der “Beihilfe zum Geheimnisverrat” strafrechtlich verfolgt werden können. Der Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht kann unter http://www.bmj.bund.de/files/-/4673/RegE_Pressefreiheit.pdf eingesehen werden. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Max Stadler, hatte die Pläne des Bundes auf der Konferenz vorgestellt. Er sagte laut Netzwerk Recherche den Teilnehmern der Konferenz zu, auch die weiteren Anliegen der Journalisten zur Änderung des Medienrechts zu prüfen.

Zentral war hier die Forderung nach Abschaffung des “fliegenden Gerichtsstands”. Betroffene sollten künftig nur noch die Wahl zwischen zwei Gerichtsständen haben, so David Schraven. Für Unterlassungsansprüche gegen Medien sollte neben dem Gericht, in dessen Bezirk das Medienunternehmen seinen Sitz hat, nur das Gericht zuständig sein, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen (Wohn-)Sitz hat. Die heutige Praxis des “fliegenden Gerichtsstands” führe hingegen zu einem regelrechten “Gerichte-Hopping”, so Schraven. “Waren Anwälte von Betroffenen bei einem Gericht erfolglos, stellen sie ihren Antrag in leicht abgewandelter Form beim nächsten Gericht – bis sie eine Kammer finden, die die Verfügung erlässt.”

Außerdem müsse das Eilverfahren zur Verhinderung von Medienberichten so gestaltet werden, dass das betroffene Medium eine faire Chance erhält, sich gegen den Unterlassungsantrag zur Wehr zu setzen. Dazu gehöre, dass das Gericht bei seiner Entscheidung in jedem Falle den Vortrag beider Parteien berücksichtigt. Einer gerichtlichen Unterlassungsverfügung müsse daher immer eine mündliche Verhandlung vorgeschaltet sein.

Die Konferenz fand in Kooperation mit dem Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus und dem Westdeutschen Rundfunk sowie mit Unterstützung des deutschen Bundesministeriums der Justiz statt.

Donnerstag, 21. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

ROG: Pressefreiheit-Rankings 2010 – Europa im Abwärtstrend

Die Lage der Medienfreiheit in Europa hat sich weiter verschlechtert. Dies ist ein Ergebnis der am 20.10.2010 veröffentlichten Rangliste zur Lage der Pressefreiheit 2010 (World Press Freedom Index 2010) von Reporter ohne Grenzen (ROG). Der bereits bei der vorherigen Erhebung von 2009 festgestellte Abwärtstrend einiger süd- und südosteuropäischer Staaten setzt sich demnach im aktuellen ROG-Ranking fort. Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich und Italien hat sich diese Entwicklung bisher nicht umgekehrt.

Gleichzeitig beobachtet ROG bei der Lage der Pressefreiheit wachsende Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsländern: Zwischen den drei am besten platzierten EU-Ländern an der Spitze des Rankings – Finnland, die Niederlande und Schweden – und den am schlechtesten platzierten – Bulgarien, Griechenland – liegen rund 70 Positionen.

Rund die Hälfte der 27 EU-Mitgliedsstaaten sind unter den 20 führenden Ländern der aktuellen Rangliste. Die Schere innerhalb der Staatengemeinschaft geht jedoch stark auseinander. So liegen zwölf EU-Länder, also fast die Häflte, zwischen dem 30. und 70. Rang. Am stärksten gefallen ist Griechenland (2009: Platz 35, 2010: Platz 70). Damit bildet das südeuropäische Land gemeinsam mit Bulgarien (2009: Platz 68, 2010: Platz 70) das Schlusslicht unter den EU-Staaten. In Griechenland waren körperliche Angriffe bei Demonstrationen und Drohungen gegen Journalisten ein Grund für die Abwärtsbewegung.

Auch bei den EU-Gründungsstaaten Frankreich (2009: Platz 43, 2010: Platz 44) und Italien (2009 und 2010: Platz 49) gibt es keine Indizien für eine Verbesserung der Situation: Grundlegende Probleme wie die Verletzung des Quellenschutzes, die zunehmende Konzentration von Medieneigentum sowie gerichtliche Vorladungen von Journalisten dauern an.

“Es ist beunruhigend festzustellen, wie einige EU-Mitgliedstaaten weiter Plätze in der Rangliste verlieren”, äusserte sich dazu ROG-Generalsekretär Jean-François Julliard: “Wenn die EU-Staaten keine Anstrengungen unternehmen, setzt sie ihre weltweit führende Position bei der Einhaltung von Menschenrechten aufs Spiel. Die europäischen Staaten müssen dringend ihre Vorbildfunktion wiedererlangen”, appelliert Julliard.

Die Pressefreiheit – Rangliste 2010
Grafik: rog.at

Auch in diesem Jahr dominieren wieder nordeuropäische Staaten die ersten Ränge. Finnland, Island, die Niederlande, Norwegen und Schweden teilen sich zusammen mit der Schweiz den ersten Rang. Seit Veröffentlichung der ersten ROG-Rangliste im Jahr 2002 hatten alle sechs Staaten schon einmal diese Position inne. Die gesetzlichen Schutzgarantien für Medienschaffende und das hohe Maß an Respekt für die wichtige Arbeit von Journalisten in demokratischen Systemen sind in diesen Ländern vorbildlich.

Österreich nimmt in diesem Jahr Platz 7 ein. Die Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr (Platz 13) ist in Relation zu den anderen genannten Ländern zu sehen. Österreich hat 2010 im Ranking deshalb besser abgeschnitten, weil sich die Situation der Pressefreiheit in den anderen Ländern teilweise verschlechtert hat. Grossbritannien liegt übrigens am 19. und die USA am 20. Platz.

Deutschland steht in diesem Jahr – fast unverändert – auf Platz 17 (2009: Platz 18): Wie auch in anderen EU-Staaten wurden Redaktionszusammenlegungen und Stellenstreichungen negativ bewertet. Der Zugang zu Behördeninformationen bleibt ebenfalls unzureichend. Zu weiteren Kritikpunkten gehörten unter anderem das Strafverfahren gegen zwei Leipziger Journalisten in der so genannten Sachsensumpf-Affäre.

Anlass zur Sorge bietet darüber hinaus die Entwicklung der Türkei. Nachdem sich der EU-Anwärter schon im Index 2009 um 20 Plätze verschlechtert hatte, folgt in diesem Jahr ein weiterer Rückfall um 16 Ränge. Damit steht das südeuropäische Land auf Position 138 (2009: 122). Ins Gewicht fielen bei der schlechten Platzierung die steigende Zahl von Klagen gegen Journalisten und Medien sowie Festnahmen von Medienmitarbeitern. Die Türkei gerät somit in unmittelbare Nachbarschaft zu Russland (2009: 153, 2010: 140).

Zensur, Gewalt und Repressionen gehören nach wie vor zum Alltag vieler kritischer Journalisten auch in der Russischen Föderation. Die Mordserie im Erhebungszeitrum der vorherigen Rangliste hat sich jedoch nicht wiederholt. Eine äußerst schwierige Situation der Pressefreiheit dokumentiert ROG zudem seit vielen Jahren auf dem Balkan. Besonders kritisch ist die Lage in Serbien (85), im Kosovo (92) und in Montenegro (104). Drohungen gegen Journalisten und der steigende Einfluss krimineller Gruppen auf Medienunternehmen erschweren die Arbeit von Medienschaffenden in Südosteuropa erheblich.

Die Situation auf den untersten Positionen der Rangliste weltweit ist fast unverändert: Birma, Iran, Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea sind erneut die Schlusslichter. Neu hinzugekommen zu der Gruppe der zehn repressivsten Staaten der Welt sind in diesem Jahr der Sudan und Ruanda. Mit der diesjährigen Rangliste wird zum neunten Mal die Situation der Pressefreiheit in 178 Staaten und Regionen weltweit verglichen. In die Bewertung wurden Verstöße gegen dieses Menschenrecht im Zeitraum von September 2009 bis August 2010 einbezogen:

Seit 2005 stehen Eritrea (178), Nordkorea (177) und Turkmenistan (176) ganz unten auf der Liste. Eine systematische Verfolgung von unabhängigen Medienschaffenden und ein vollständiges Fehlen von Nachrichten und Informationen kennzeichnet die Lage in den Ländern seit mehreren Jahren. “Wir sehen leider keine Verbesserung in den autoritären Staaten”, so Julliard. „Wir sind besorgt über den harschen politischen Kurs einiger Regierungen von Ländern am unteren Ende des Rankings.”

Die Situation hat sich auch in Ruanda (2009: 157, 2010: 169) und im Sudan (2009: 148, 2010: 172) verschärft. Die beiden Länder im Osten und Nordosten Afrikas sind deswegen auf die zehn hintersten Ränge abgerutscht. In Ruanda fielen zusätzliche Zensurmaßnahmen und Schließungen von Medien vor der Präsidentschaftswahl im August 2010 ins Gewicht. Überdies wurde ein Journalist ermordet. Im Sudan hat die Regierung ihre Überwachung der Printmedien deutlich verstärkt, mehrere Journalisten wurden verhaftet und eine oppositionelle Tageszeitung wurde geschlossen.

Auch Birma rangiert wieder unter den letzten zehn Staaten. Auf Versuche von Journalisten, Nachrichten jenseits von Propaganda zu veröffentlichen, reagieren die Behörden mit Gefängnis und Zwangsarbeit. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich die Lage angesichts der im kommenden Monat bevorstehenden Parlamentswahl noch verschärfen wird.

Kaum verändert haben sich darüber hinaus die Positionen der Volksrepublik China (2009: 168, 2010: 171), des Irans (2009: 172, 2010: 175) und Syriens (2009: 165, 2010: 173). Die starke Wirtschaftsmacht China nimmt immer noch nicht ihre Verantwortung bei der Wahrung der Menschenrechte wahr. Anlässlich der Bekanntgabe der Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo hat die Regierung wieder ihre starre Haltung manifestiert: Medienberichte über die Preisvergabe wurden zensiert, Unterstützer Lius festgenommen.

Im Iran haben die Menschenrechtsverletzungen gegen Journalisten und Blogger und die staatliche Zensur in diesem Jahr ein noch größeres Ausmaß erreicht. Mehr als 200 Medienschaffende sind seit Sommer 2009 aus der islamischen Republik geflüchtet. In Syrien lassen weit greifende Mechanismen zur Kontrolle von staatlichen und privaten Medien, repressive Pressegesetze und die Unterdrückung von oppositionellen oder kritischen Journalisten so gut wie keine Freiräume mehr für unabhängige Meinungsäußerung.

Die Philippinen, Ukraine und Kirgistan sind neben Griechenland am stärksten in diesem Jahr abgestiegen: Auf den Philippinen (2009: 122, 2010: 156) ereignete sich im vergangenen November eines der schwersten Massaker an Journalisten: Rund 30 Medienmitarbeiter kamen damals ums Leben. In der Ukraine (2009: 89, 2010: 131) verzeichnet ROG eine stetige Verschlechterung der Situation der Pressefreiheit seit Viktor Janukowitschs Wahl zum Präsidenten: Die staatliche Kontrolle über die Medien und Repressionen gegen Journalisten haben zugenommen, die Medienvielfalt nimmt ab. In Kirgistan (2009: 125, 2010: 159) gingen die politischen Unruhen mit der Verfolgung von Journalisten einher, die ethnischen Minderheiten angehören.

Die vollständigen Pressefreiheit-Rankings 2010 weltweit sind hier abrufbar.

Mittwoch, 20. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

Journalistenclub fordert Transparenz bei politisch beauftragten Inseraten

Die Forderung des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ) für mehr Transparenz bei Inseraten der Bundesregierung ist begrüßenswert, aber nur ein inkonsequenter, erster Schritt in die richtige Richtung. “Der Österreichische Journalisten Club fordert bereits seit längerem die Offenlegung aller politisch motivierten Inserate und deren Kosten. Dabei ist unerheblich, ob diese Inserate von der Bundesregierung, von Landtagen, Gemeinderäten, politischen Parteien oder den Sozialpartnern direkt in Auftrag gegeben wurden”, so ÖJC-Präsident Fred Turnheim. Steuergelder werden in allen Fällen verwendet und
daher hat der Steuerzahler auch das Recht zu wissen, welches Medium wie viel Geld von der öffentlichen Hand bekommt.

Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC), mit rund 6.500 Journalistinnen und Journalisten die nach eigenen Angaben größte Journalistenorganisation in Österreich, fordert die Bundesregierung und alle im Nationalrat vertretenen Parteien zudem dringend auf, ein neues Medienrecht zu schaffen. Dies soll ein umfassendes Gesetz werden, dass im Verfassungsrang steht. “Damit wollen wir einen eindeutigen Schutz der Journalisten und ihrer Informanten erreichen”, sagt ÖJC-Präsident Fred Turnheim am Samstag zur aktuellen Diskussion über die Pressefreiheit in Österreich.

Samstag, 16. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

Was sind Freie Medien? (Info und Kommentar zum Tag der Freien Medien)

Sie diskutierten über Freie Medien. (v.l.n.r.:) Peter Krotky (diepresse.com), Michaela Wein (mokant.at), Martin Aschauer (Medienverband), Martin Blumenau (ORF FM4), Michaela Adelberger (Freie Radios)
Foto: © Leimgruber

Was im Radiobereich durchaus möglich ist, hält FM4-Mann Martin Blumenau bei Printmedien nicht nichtexistent: “Der Begriff Freie Medien im Printbereich exitiert nicht,” sagte Blumenau bei einer Podiumsdiskussion zum Thema “ProduzentInnen brauchen keine Sender” am Tag der Freien Medien im Wiener Museumsquartier. So lange sich der Österreichische Medienverband bzw. seine Mitglieder nicht auf eine Definition einigen könnten, welche die Kriterien von Freien Medien sind, dürfe man sich weder wundern, dass er zu wenig wahrgenommen werde, noch dass der (für die Diskussion angekündigte aber nicht anwesende) Staatssekretär für Medien, Josef Ostermayer (SPÖ) nicht komme und erst recht keine (erwarteten) Geldmittel in Aussicht stelle. Und was vor Jahrzehnten noch funktioniert hatte, nämlich dass man über die Mitarbeit bei kleinen Medien den Weg zu kommerziellen Medien finde, das klappe heute aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr, sagte Blumenau.

Er sei zwar dankbar für die gute Mitarbeiter, die von Freien Medien rekruitiert wurden, man müsse es aber als Medienmacher einfach zur Kenntnis nehmen und einsehen, wenn die Leser das Produkt nicht sosehr schätzten, dass sie dafür zahlen, sagte Peter Krotky, Verantwortlicher der Presse Online: Dann funktioniere dieses Medium eben nicht. Er halte es für “unanständig”, wenn kommerziell ausgerechtete Massenmedien ihre Vollzeitmitarbeiter nicht entsprechend bezahlten, er sei aber dennoch gegen die Presseförderung, auch bei Tageszeitungen.

Medienverband-Präsident Martin Aschauer lauscht FM4-Mann Martin Blumenau
Foto: © Leimgruber

Martin Aschauer, Präsident des Österreichischen Medienverbandes sprach sich bei der Podiumsdiskussion erneut gegen “Gießkannenförderung” im Medienbereich und dafür für die Schaffung eines freien Medienfonds aus, der jedenfalls Banken und Versicherungen vom Zugang zu Presse- und Publizsitikförderungen ausschliesst. Der ORF sollte Werbefenster für nichtkommerzielle Medien zur Verfügung stellen, die GIS-Gebühren sollten verpflichtend ausschliesslich für Medien verwendet werden dürfen und die Freien Medien sollten zudem eine Rechtschutzversicherung erhalten, forderte Aschauer.

Die Freien Radios hätten einen “emanzipatorischen Ansatz”, bieteten “offenen Zugang” und der Schwerpunkt liege auf Inhalten und hätten ein “politisches Statement”, erklärte Michaela Adelberger von den Freien Radios. Im Vorfeld des Tages Freien Medien hatte einige weitere Vereine, einen Offenen Brief veröffentlicht, in welchem dem Medienverband unter anderem der Tagungsort “Museumsquartier” als “Hot Spot neoliberal gesteuerter Kreativwirtschaft in Wien” und das verlangte Eintrittsgeld (3 Euro) für unangemeldete Teilnehmer vorgeworfen wurde und die daher die Teilnahme an dieser Veranstaltung verweigerten. Zudem kritisieren sie, dass bei “zunehmend nach rechts rückenden politischen Verhältnissen” ein “politisches Selbstverständnis oder eine politische Positionierung”, beispielsweise ein “antidiskriminatorischer Grundkonsens” fehle: Freie Medien müssten daher eine “Plattform für linke, emanzipatorische Positionen – insbesondere jene von Migrant_innen – anbieten,” fordern die Kritiker.

Peter Krotky (Die Presse Online)
Foto: © Leimgruber

Mal vorausgeschickt: Ich bin für die Presseförderung. Und dass öffentliche Gelder für Werbezeitschriften fehl fehl am Platz sind, ist auch klar. Was aber nicht und zwar keinesfalls passieren darf ist, dass nach ideologischen Kriterien entschieden werden kann, wer Anspruch auf Presseförderung hat und wer nicht. Grundsätzlich aber sollte diese nicht nur an grosse Tageszeitungen fliessen, sondern gleichermassen auch an Freie Print- und Onlinemedien, sofern sie journalistischen Grundsätzen und Ansprüchen entsprechen (wollen).

Und ich finde es gut, dass es den Österreichischen Medienverband gibt mit dem Ziel, die Anliegen der Freien Medien zu unterstützen. Aber natürlich ist es sinnvoll zu definieren, unter welchen Kriterien man eine Freies Medium ist. Aber es wäre vollkommen falsch, gäbe es ein “politisches Statement” auf welchem Konsens auf immer beruhend: Zum einen müssen freie Medien nicht zwangsmässig politisch sein und vor allem müssen sie keinesfalls das, was von den Kritikern gefordert wird sein: radikal links sein. In einem Medienverband muss, sofern es sowas gibt, Platz für all jene Medien sein, die sich aufgrund ihrer nicht rein wirtschaftlichen Ausrichtung als Freie Medien empfinden, unabhängig davon, ob sie über aussterbende Tierarten, über Heiligenbilder, über Migranten, über eine Volkstanzgruppe oder über Randgruppen der Gesellschaft berichten. Was wäre es denn für eine Unabhängigkeit und eine Freiheit in einem Medienverband, wenn vorgeschrieben würde, wie die Mitglieder (egal ob Einzelpersonen, Vereine oder Medien) denken müssen bzw. wo sie politisch zu stehen haben?

Aber bei einem engstirnigen, nur im eigenen Sumpf kreisenden Denken versteht man sowas nicht. Was den politisch Rechten immer -vollkommen zu Recht- vorgeworfen wird, dass sie nämlich einseitig und intolerant sind, dasselbe ist auf der anderen Seite eben auch typisch für gewisse linksalternative Gruppierungen: Sie beanspruchen all das für sich und nur für sich, was sie Andersdenkenden sofort verwehren würden. Und der “offene Zugang” und der Antidiskriminierungsgrundsatz gilt in ihrem Denken natürlich auch nur für die eigenen (politischen und sozialen) Positionen, jedoch nicht für entgegengesetzte. Dabei ist es gerade das rote Wien, das immer wieder auch und vor allem linksalternative Vereine und Institutionen wie beispielsweise das äusserst umstrittene Amerlinghaus mit Umsummen von Geldern (2009: 250.000 Euro) ausstattet.

Und auch die angeblich so verschmähten und verschwiegenen “linken emanzipatorischen Positionen” speziell jene, Migranten und Randgruppen betreffend, werden von den meisten Massenmedien mehr als ausreichend thematisiert und oft vor allem durch den ORF sogar künstlich aufgebauscht. Zu behaupten, dass link-alternative Themen bei den kommerziellen Medien nicht vorkommen, ist also vollkommener Unfug. Zudem: Auf der einen Seite gegen den Kunst finanzierenden “Neoliberalismus” zu wettern und auf der anderen Seite Gelder von der Öffentlichen Hand zu fordern, macht die Kritiker-Anliegen auch keinesfalls glaubwürdiger.

Und wer -vollkommen zu Recht- für sich, sein Gedankengut, seine Meinung Toleranz und Freiheit einfordert, sollte als Demokrat (und ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Demokratie fordere ich einfach ein) diese auch jedem anderen zugestehen, gemäss dem (vielleicht fälschlich) Voltaire zugeschriebenen Zitat: Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst”. Das ist echte Meinungs- und auch Pressefreiheit, wie sie die Demokratie erfordert. Und für diese sollten vor allem Freie Medien kompromisslos einstehen.


Sonntag, 26. September 2010, von Elmar Leimgruber

Pressefreiheit bedeutet nicht journalistische Willkür

Elmar Leimgruber
Foto: © Leimgruber

Vorausgeschickt: Ja, die Pressefreiheit ist in Gefahr, und zwar nicht nur in irgendwelchen Entwicklungsländern, sondern auch in Europa und hier wie in Italien und in anderen Ländern auch in Deutschland und Österreich. Dies hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe, denn rein durch Abonnement-Einnahmen können sich viele Medien nicht finanzieren, wodurch ein problematisches Spannungsfeld zwischen journalistischer Unabhängigkeit und wirtschaftlichen Zwängen entsteht.

Und dann gibt es in jedem Land auch noch so genannte staatsnahe Medien, die von der jeweiligen Regierung kontrolliert werden. So kam in Österreich unter der schwarz-blauen Regierung ein “schwarzer” Chefredakteur an die Spitze der “Wiener Zeitung” und wurde prompt von einem “roten” abgelöst, als der rote Faymann Bundeskanzler wurde. Und beim ORF ging es seit der letzten rot-schwarzen Regierung noch weit unverfrorener her:

In der schwarz-blauen-orangen Regierungszeit wurde nur versucht, ein gewisses politisches “Gleichgewicht” der einzelnen Parlaments-Parteien im ORF herzustellen, was jene Leute im ORF, die es gewohnt waren, politisch immer nur unter ihresgleichen zu sein, verstörte und die SOS ORF gegen die vermeintliche politische Vereinnahmung des ORF ins Leben rufen liess.

Was hingegen seit der Regierung des roten Kanzlers Faymann im ORF vor sich geht, hat mit Meinungsvielfalt und Demokratie nichts mehr gemeinsam: Nicht nur, dass er -wie berichtet- alle ihm -leider- per Gesetz zustehenden Publikumsräte ausschliesslich aus den Reihen seiner Partei der SPÖ rekruitierte, und damit das Sehervotum nicht nur ignorierte, sondern im Nachhinein zu seinem Vorteil manipulierte (und ich höre nach wie vor niemanden im ORF und kaum wen ausserhalb, der gegen eine solch haarsträubende politische Einflussnahme und Umfärbung auftritt), sondern alle wichtigen Umbesetzungen der Spitzenfunktionen der letzten Monate waren SPÖ-Sympatisanten. Gegen solche Vorgänge und Einmischungen müssten Journalisten und ihre Standesvertretungen protestieren, das passiert aber leider nicht. Es scheint fast, es herrscht chronische Blindheit auf dem einen Auge. Bezüglich ORF und Politik stehe ich übrigens nach wie vor (wenn ein politisch unabhängiger ORF schon nicht möglich und offenbar auch nicht erwünscht ist) für einen ORF, in dem alle Parlamentsparteien je nach ihrer Stärke vertreten sind.

Und dann gibts in Österreich noch die “Kronenzeitung”, die sich offenbar nicht zu schade dafür ist, nach den Treueschwüren der SPÖ-Spitze vor einiger Zeit dem Medium gegenüber, derlei aktiv Parteipropaganda für die SPÖ zu betreiben, dass deren Funktionäre schon gebeten wurden, der “Krone” passende Promotion-Artikel zukommen zu lassen.

Also nein: Es herrscht nicht wirklich Pressefreiheit, wenn reichweitenstärkste Medien eines Landes (ORF, “Krone”, “Österreich” und in letzter Zeit vermehrt auch “heute”) wohlwollende Hofberichterstattung für die SPÖ liefern (müssen). Und dies ist der eigentliche Skandal: dass das Medien- und Machtimperium in Österreich vor allem von einer einzigen Partei kontrolliert wird: der SPÖ.

Aber derzeit gegen die Wogen hoch im Zusammenhang mit zwei konkreten Rechts-Fällen, wo manche Journalisten ihre Befürchtung bestätigt sehen, dass die Pressefreiheit in Gefahr ist. Dabei handelt es sich hier um zwei grundunterschiedliche Ereignisse:

Im ersten Fall hatte vor einigen Tagen die Oberstaatsanwaltschaft Wien Journalisten der Nachrichtenmagazine “profil” und “News” im Rahmen einer Beschuldigteneinvernahme vernommen, weil diese aus dem Gerichtsdossier in der Causa “Hypo Alpe-Adria” berichtet hatten, was jedoch in Österreich nicht strafbar ist. Weil es hierbei aber um einen “Tatbestand” in Deutschland handelt, hatte die Staatsanwaltschaft München aber die Einvernahme der österreichischen Journalisten in Wien verlangt.

Bei allem Verständnis dafür, dass die Justiz -zu Recht- ein berechtigtes Problem mit eigenen “Maulwürfen” hat: Erstens ist das Zitieren aus Gerichtsakten in Österreich nicht strafbar und zweitens gilt das Redaktionsgeheimnis verbunden mit dem Schutz der jeweiligen Informanten. Es ist ist Aufgabe der Justiz, ihre “2undichten Stellen” selbst ausfindig zu machen und nicht Journalisten damit zu quälen. Geschieht es dennoch, handelt es sich auch für mich eindeutig um eine Gefährdung der Pressefreiheit.

Im zweiten Fall hatte bereits vor Monaten die “Am Schauplatz”-Redaktion des ORF eine Dokumentation über Skinheads vorbereitet und diese offenbar zu einer Veranstaltung von FPÖ-Chef Strache gebracht. Und hier stehen nun Aussage gegen Aussage: Strache behauptete, dass Redakteure die Skinheads zur Naziparolen anstifteten und erstattete Anzeige wegen “Wiederbetätigung”. Der ORF stellte sich schützend hinter seine Redakteure, die ihre Unschuld beteuerten. Die Staatsanwaltschaft forderte daraufhin sofort die Herausgabe des gefilmtes Materials. Erst viele Stunden später und erst am nächsten Tag übergab der ORF einen Teil des Filmmaterials. Der ORF verklagte daraufhin Strache.

Jetzt Monate später wurde mitgeteilt, dass laut einem Gutachter auf dem abgegebenen Filmmaterial keine Manipulationen erkennbar sind. Und wenige Tage später hob das Parlament die Immunität des FPÖ-Chefs auf, um ein Gerichtsverfahren gegen ihn eröfffnen zu können. Und in Folge wurde vom ORF durch Beschluss des OLG Wien auch die Herausgabe des restlichen Filmmaterials gefordert.

Der Aufstand des ORF und weiterer Medien war gross und man ortete einen schwerwiegenden Angriff gegen die Pressefreiheit und das Redaktionsgeheimnis.

Aber hier kann ich beim besten Willen nicht mit: Es überrascht und mich und erfüllt mich mit Sorge, dass ausgerechnet auch jene journalistischen Kollegen, die bei politischen Gegnern dauernd der Justiz Untätigkeit vorwerfen, wenn sie vermutliche “Skandale” über diese aufgedeckt haben, jetzt “Skandal” und “Rettet die Pressefreiheit” schreiben. Wäre ihr Gerechtigkeitssinn so ausgeprägt, wie sie ihn für sich selbst gern beanspruchen und einfordern, müssten sie auch in diesem konkreten Fall entschieden für die volle Aufklärung eintreten, schon ihrer eigenen Glaubwürdigkeit wegen:

Wenn mir als Journalist ein Politiker unverfroren vorwirft, ich manipuliere, dann lege ich mein Material sofort und vollständig und freiwillig vor Zeugen offen und überführe ihn der Verleumdung. Und das ist meines Erachtens in diesem Fall der einzig richtige Weg, wenn man “unschuldig” ist. Die “Am Schauplatz”-Redaktion und mit ihr der ORF haben sich hingegen für einen Weg entschieden, der Vertuschung vermuten lässt. Sich hier auf das Redaktionsgeheimnis und die Pressefreiheit zu berufen, klingt zumindest nach einer billigen Ausrede, weil man (zu Recht?) nicht zu dem stehen kann, was man als Journalist tut.

Und dass in diesem Fall auch noch durch Anzeige des ORF die Immunität eines Abgeordneten aufgehoben wurde, um ein gerichtliches Verfahren zu ermöglichen, kommt erschwerend dazu. Wie soll man ein Verfahren gegen wen führen können, wenn die Beweismittel nicht verwendet werden dürfen?

In diesem Fall bezüglich dieser so genannten “Skinhead-Affäre” halte ich den Schrei nach dem Schutz der Pressefreiheit nicht nur für eine Überreaktion, sondern für vollkommen unangebracht und unberechtigt. Hier sollen die Redakteure zu dem stehen, was sie produziert haben; das hätten sie sofort und ohne gerichtliches Urteil machen sollen, schon um ihre -sofern es diese gibt- Unschuld zu beweisen.

Ich bin hier für eine lückenlose und vollständige Aufklärung der Causa, und zwar ohne irgendwelche politischen oder sonstigen Rücksichten, weder auf Strache, noch auf die betreffende Redaktion.

Und obwohl ich in diesem Fall keinerlei Verletzung weder des Redaktionsgeheimnisses noch der Pressefreiheit feststellen kann, aber im zuerst genanntenFall sehr wohl und weil die Pressefreiheit ein unersetzbarer Wert für die demokratische Gesellschaft darstellt, nehme ich auch am einmaligen Krisen-Journalistentreff am Montag Abend teil, um mit besorgten Kolleginnen und Kollegen Massnahmen gegen die Aushöhlung der Pressefreiheit zu diskutieren.

Übrigens: es sollte zwar selbstverständlich sein, aber ich erinnere dennoch daran: Als Journalist tragen wir eine grosse Verantwortung: nicht nur nur dem Chefredakteur oder dem Verleger gegenüber, sondern vor allem uns selbst und den Menschen gegenüber, für die wir berichten, und natürlich auch jenen gegenüber, über die wir recherchieren. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein.

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Samstag, 11. September 2010, von Elmar Leimgruber

Deutsche Kanzlerin plädiert für Selbstbewusstsein, Toleranz, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel zeichnet den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard aus
Foto: REGIERUNGonline/Hanschke

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat anlässlich der Verleihung des Medienpreises “M 100 Sanssouci Colloquium”an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard die Bedeutung von Presse- und Meinungsfreiheit hervorgehoben. Dieser muss für seine Mohammed-Karikaturen seit 2005 um sein Leben bangen. “Europa ist ein Ort, in dem ein Zeichner so etwas zeichnen darf. Das ist im Übrigen kein Widerspruch dazu, dass Europa auch ein Ort ist, in dem die Freiheit des Glaubens und der Religion sowie der Respekt vor Glaube und Religion ein hohes Gut sind”, sagte Merkel. “Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.” Dieser Satz von Perikles sei heute noch genauso aktuell wie im 5. Jahrhundert vor Christus. “Freiheit zu leben, erfordert Mut, und zwar jeden Tag aufs Neue, im Kleinen wie im Großen,” betonte die deutsche Kanzlerin.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat sich indes gegen die laut gewordene Kritik von Moslem-Organisationen an der Ehrung des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard gewandt. “Satire und Karikatur sind ironische Stilmittel der Pressefreiheit“, stellte der DJV-Vorsitzende Michael Konken klar: “Sie zu akzeptieren, selbst wenn man sich angegriffen fühlt, ist demokratisches Prinzip.“

redakteur.cc dokumentiert in Ausschnitten die beeindruckende und bedenkenswerte Jahrhundertrede von Angela Merkel zur Verleihung des Medienpreises am 8. September 2010 in Potsdam:

Die Wirkung der präzisen Frage zum richtigen Zeitpunkt, die Freiheit, sie stellen zu können, und vor allem die Freiheit, über die Antwort zu berichten, und zwar ungekürzt, unverändert, unverzüglich – welch hohes Gut. Niemals dürfen wir dieses hohe Gut als selbstverständlich ansehen – auch bei Themen nicht, die nicht sofort die Welt verändern, sondern Fragen des Alltags berühren…

Reden wir also Klartext… Aussagen, zum Beispiel von mir, münden in eine Debatte, eine breite Debatte um Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Er lautet: “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.” – So weit Artikel 5. Er ist es wert, gerade bei einer solchen Tagung zum Thema “Freiheit und Pressefreiheit” in Gänze vorgetragen zu werden. Er ist das auch wert, weil er neben Artikel 1 zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen, Artikel 2 zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, Artikel 3 zur Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und Artikel 4 zur Freiheit des Glaubens für mich zu den größten Schätzen unserer Gesellschaft gehört…

Das Thema Sarrazin ist aber gerade kein Thema der Gefährdung der Meinungsfreiheit, sondern es geht darum, ob und gegebenenfalls welche Folgen zum Beispiel ein Buch für einen Autor in einer besonders wichtigen öffentlich-rechtlichen Institution haben kann oder nicht…

Der heutige Tag kann uns für unser Thema “Pressefreiheit in Europa” – da bin ich mir sicher – Orientierung geben. Bei dem Mann, den Sie heute auszeichnen, dem dänischen Zeichner und Karikaturisten Kurt Westergaard, geht es um die Meinungs- und Pressefreiheit. Bei ihm geht es darum, ob er in einer westlichen Gesellschaft mit ihren Werten seine Mohammed-Karikaturen in einer Zeitung veröffentlichen darf, ja oder nein; egal, ob wir seine Karikaturen geschmackvoll finden oder nicht, ob wir sie für nötig und hilfreich halten oder eben nicht. Darf er das? Ja, er darf. Er ist ein Zeichner, wie es in Europa viele gibt. Europa ist ein Ort, in dem ein Zeichner so etwas zeichnen darf. Das ist im Übrigen kein Widerspruch dazu, dass Europa auch ein Ort ist, in dem die Freiheit des Glaubens und der Religion sowie der Respekt vor Glaube und Religion ein hohes Gut sind. Wenn ein fundamentalistischer evangelikaler Pastor in Amerika am 11. September den Koran verbrennen will, so finde ich das deshalb – kurz gesagt – schlicht respektlos, sogar abstoßend und einfach falsch.

In der Diskussion um die Veröffentlichung der so genannten Mohammed-Karikaturen geht es also genau darum, ob wir in Europa mit unseren Werten – Sie haben die von mir genannten ersten fünf Artikel unseres Grundgesetzes sicher noch im Ohr – aus Angst vor Gewalt und Massendemonstrationen davon absehen, die Zeichnungen dieses Karikaturisten zu veröffentlichen oder nicht, ob sie auch in anderen Zeitungen nachgedruckt werden oder nicht und, wenn nein, warum nicht.

Denen, die das seinerzeit aus welchen Gründen auch immer nicht gemacht haben, werfe ich nichts vor. Jeden Tag stehen Sie bei Ihrer Berichterstattung vor Abwägungsfragen; sie gehören zur Verantwortung der Medien in Ausübung ihrer Pressefreiheit ganz selbstverständlich dazu. Ich kenne solche Abwägungsfragen auch selbst: Soll die deutsche Bundeskanzlerin die Hauptrede anlässlich dieser Veranstaltung halten? Soll sie den Dalai Lama empfangen? Soll sie Briefe, die sie zum Beispiel von “Reporter ohne Grenzen” bekommt, ernst nehmen und den neuen ukrainischen Präsidenten bei seinem ersten Besuch in Berlin auf die Einschränkungen der Pressefreiheit in seinem Land ansprechen oder damit besser bis zur zweiten Begegnung warten?

Wie also verhält es sich mit den Werten und den Interessen, den politischen wie wirtschaftlichen, die für unser Land wichtig sind – für Sie wie für mich? Ich habe für mich die genannten drei Fragen drei Mal mit Ja beantwortet, und zwar aus einem einzigen Grund, der mich seit Beginn meiner politischen Arbeit leitet: Deutsche Politik vertritt ihre Interessen wertegebunden – nach innen wie nach außen. Werte und Interessen gehören zusammen. Wer einen Gegensatz aufmacht, hat sich bereits aufs Glatteis führen lassen…

Ja, geben wir den Menschen eine Stimme – in politischen Parteien genauso wie in den Medien. Aber überzeugen wir sie gleichzeitig, dass es in unserem Land am wenigsten darum geht, was gesagt werden darf. Richtige Entscheidungen, Taten statt Worte – das hingegen führt zum Kern dessen, was notwendig ist, zum Beispiel damit Integration gelingt und nicht scheitert, damit Parallelgesellschaften verhindert und nicht auch noch gefördert werden, damit jugendliche Gewalt eingedämmt und nicht hingenommen wird, damit der Sozialstaat denen hilft, die ihn brauchen, und nicht denen, die ihn missbrauchen, und vieles mehr…

Erstens: Freiheit ist nicht bindungslos. Das gilt für unser persönliches Leben, das gilt in der Politik, das gilt für die Verantwortung der Medien, das gilt für uns alle. Freiheit ist stets und für alle mit Verantwortung verbunden. Freiheit steht nie nur für sich. Sie ist eine Medaille mit zwei Seiten: Auf der einen Seite steht die Freiheit von etwas, auf der anderen Seite die Freiheit zu etwas. Wenn wir also von Freiheit sprechen, dann sprechen wir tatsächlich immer auch von der Freiheit des anderen. Was uns in Deutschland wie Europa auszeichnet, das ist der Umgang mit unserer Vielfalt, unserer Freiheit und der Freiheit der anderen. Wir Deutsche und Europäer haben in unserer Geschichte gelernt, aus der Vielfalt das Meiste zu machen. Die Eigenschaft, die uns dazu befähigt, ist die Toleranz.

Zweitens: Die Toleranz ist eine anspruchsvolle Tugend. Sie braucht das Herz und den Verstand. Aber sie ist nicht mit Standpunktlosigkeit und Beliebigkeit zu verwechseln. Sie hat niemals das geringste Verständnis für Intoleranz, für Gewalt von Links- und Rechtsextremismus oder für Gewalt im Namen einer Religion. Die Toleranz ist ihr eigener Totengräber, wenn sie sich nicht vor Intoleranz schützt. Religionsfreiheit meint eben nicht, dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz steht. Toleranz meint nicht Wegsehen oder das Messen mit zweierlei Maß. Und Respekt bedeutet nicht Unterwerfung.

Drittens: Freiheit in Verantwortung – das gilt auch für die Wirtschaft. Eine auf Freiheit beruhende Soziale Marktwirtschaft bietet die Spielräume, damit Menschen verantwortlich handeln können. Die Lektion, die uns die Finanz- und Wirtschaftskrise schmerzhaft erteilt hat, muss überall ankommen. Seit Ludwig Erhard gilt, dass der Staat der Hüter der Ordnung unserer Sozialen Marktwirtschaft ist.

Viertens: “Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.” Dieser Satz von Perikles ist heute noch genauso aktuell wie im 5. Jahrhundert vor Christus. Freiheit zu leben, erfordert Mut, und zwar jeden Tag aufs Neue, im Kleinen wie im Großen – wenn ein Jugendlicher nicht mehr mitmacht beim Mobbing eines Klassenkameraden und den Ausschluss aus der Gruppe riskiert, wenn ein Manager nicht mehr mitmacht bei unlauteren Unternehmenspraktiken und dafür seine Karriere riskiert, wenn man in einer Diktatur versucht, jeden Tag in den Spiegel schauen zu können… Ja, so ist es: Mut fängt mit der Überwindung der eigenen Verzagtheit an…


Fünftens: Die Freiheit wird durch die schier unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Revolution geradezu herausgefordert. Auch ich bin fasziniert von den Möglichkeiten des World Wide Web. Trotzdem werden Sie keine Fotos von meiner letzten Geburtstagsfeier im Internet finden – zumindest keine, die ich selbst eingestellt hätte. Im Ernst: Es macht mir Sorgen, wie leichtfertig Menschen ihre Privatsphäre, den Hort individueller Freiheit, aufgeben und im Internet sensible persönliche Daten preisgeben. Gänzlich unverständlich ist mir das, wenn man bedenkt, wie erbittert wir in Deutschland über die Videoüberwachung öffentlicher Plätze oder eine Volkszählung streiten können. Politik und Medien müssen hier weiter Aufklärungs- und – ja, ich sage – Bildungsarbeit leisten, um in diesem Bereich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Freiheit zu kommen.

Sechstens: Auch unsere Außenpolitik ist wertegebunden. Ich sehe mit Sorge, dass Diktaturen und autokratische Staaten den Freiheits- und Toleranzbegriff missbrauchen. Denken wir zum Beispiel an die dritte Konferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus im Jahre 2001. Diese Anti-Rassismus-Konferenz und ihre Nachfolgetreffen wurden leider von Abgesandten aus Diktaturen und autoritär regierten Ländern bestimmt, die den Gedanken dieser Konferenzen in ihr Gegenteil verkehrt haben.

In Zusammenhängen wie diesen wird oft gefragt: Ist es nicht eine kulturelle, westliche, europäische, christliche Anmaßung, dass wir unsere Werte und Freiheitsrechte für universal gültig halten? Meine Antwort ist eindeutig: Nein, es ist keine Anmaßung. Fast alle Staaten sind Mitglieder der Vereinten Nationen und haben die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkannt. Die großartigen 30 Artikel der Menschenrechtserklärung machen deutlich: Wer diese Rechte bestreitet, hat nicht das Wohl der Menschen im Blick. Kein kultureller Unterschied kann die Missachtung dieser Rechte rechtfertigen.

Ich bin im Übrigen überzeugt: Wenn wir selbstbewusst zu unseren Werten stehen, verschafft uns das weltweit mehr Respekt und Anerkennung, als wenn wir es nur verschämt tun.

Meine Damen und Herren, Freiheit – ich habe es schon oft gesagt – ist für mich persönlich die glücklichste Erfahrung meines Lebens. Auch bald 21 Jahre nach dem überwältigenden Geschenk der Freiheit mit dem Fall der Mauer und 20 Jahre nach der Vollendung der Einheit Deutschlands gibt es noch immer nichts, das mich mehr begeistert, nichts, das mich mehr anspornt, nichts, das mich stärker mit positiven Gefühlen erfüllt als die Kraft der Freiheit.

Mittwoch, 8. September 2010, von Elmar Leimgruber

Irak-Krieg: 230 Medienmitarbeiter getötet

Reporter ohne Grenzen: Bildband Pressefotos
Foto: rog.de

Seit dem Einmarsch der US-geführten Truppen im Irak im März 2003 sind in dem vorderasiatischen Land 230 Medienmitarbeiter getötet worden. Diese Bilanz zieht Reporter ohne Grenzen (ROG) in einem am 7. September veröffentlichten Bericht zur Entwicklung der Pressefreiheit im Irak. In der Studie wird der Zeitraum von Beginn der Invasion der US-Koalition am 20. März 2003 bis zum Rückzug der letzten Kampfeinheit der US-Armee aus dem Land am 19. August 2010 untersucht.

Der Sturz des ehemaligen Machthabers Saddam Hussein nach Beginn der “Operation Iraqi Freedom” bedeutete zwar größere Freiräume für Journalisten und Medien im Irak. Aber die folgenden politischen und ethnischen Auseinandersetzungen verursachten auch ein extremes Ausmaß an Gewalt, die sich auch gegen Medienvertreter richtete. “Bis heute liegt die Zahl der ermordeten Journalisten und Medienmitarbeiter bei 230″, heißt es in dem Bericht. “Das übersteigt die Zahl der getöteten Reporter während des Vietnamkrieges.” Während des Vietnam-Kriegs von 1955 bis 1975 kamen 63 Journalisten ums Leben.

Rund 70 Prozent der Journalisten starben bei gezielten Anschlägen und Attacken – eine weitaus höhere Rate als bei vorangegangenen Kriegen. In mehr als 80 Prozent der Fälle kamen die Täter aus den Reihen bewaffneter Gruppen, die im Widerstand zur US-Koalition und der irakischen Regierung stehen. Für rund zehn Prozent der Todesfälle waren die internationalen Besatzungstruppen verantwortlich.

Die meisten Todesopfer, fast 90 Prozent, waren irakische Medienvertreter. Vermutlich spielten in vielen Fällen die politische Ausrichtung oder Nähe zu ethnischen Gruppen der Medien, für die sie arbeiteten, eine Rolle. Vor allem staatliche Medien wurden zur Zielscheibe von Gewalt: Sie werden von militanten oppositionellen Gruppen häufig verdächtigt, im Dienst der US-amerikanischen Streitkräfte zu stehen und deswegen als Verräter oder Feinde betrachtet.

ROG verzeichnete in den vergangenen Jahren einen weiteren Negativrekord im Irak. Mindestens 93 Medienmitarbeiter wurden im Untersuchungszeitraum des Berichts entführt. 47 von ihnen wurden wieder frei gelassen, 32 ermordet, das Schicksal weiterer 14 entführter Medienschaffender bleibt ungewiss.

Schließlich dokumentiert ROG in dem Bericht zahlreiche Festnahmen von Journalisten. US-amerikanische Soldaten verhafteten rund 30 Journalisten, die irakischen Behörden nahmen mehrere Dutzend Reporter fest. Die meisten Journalisten wurden unter dem Verdacht verhaftet, sie kollaborierten mit aufständischen Gruppen. Aus Sicht von ROG handelte es sich häufig um willkürliche Festnahmen, deren Rechtmäßigkeit nicht ausreichend überprüft wurde.

Das jüngste Opfer der Gewalt im Irak war in dieser Woche der 35-jährige Fernsehmoderator Riad el Sarai, der für den staatlichen Fernsehsender “El Irakija” gearbeitet hatte. Er wurde von unbekannten bewaffneten Männern am 7. September erschossen, als er am Morgen sein Haus in Bagdad verließ. ROG verlangt die umgehende Einleitung von Ermittlungen.

Der 13-seitige ROG-Bericht zur Entwicklung der Pressefreiheit im Irak ist hier abrufbar.

Samstag, 14. August 2010, von Elmar Leimgruber

Reporter ohne Grenzen und DJV kritisieren “Sachsen-Sumpf”-Urteil gegen Journalisten

Die verurteilten Reporter Arndt Ginzel und Thomas Datt
Foto: ROG © Jan Zappner

Am Freitag, 13. August, hat das Dresdner Amtsgericht die beiden Reporter Thomas Datt und Arndt Ginzel zu 50 Tagessätzen à 50 Euro verurteilt, weil sie sich im Zusammenhang mit der sogenannten “Sachsen-Sumpf”-Affäre nach Ansicht des Gerichts der üblen Nachrede schuldig gemacht haben. Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert dieses Urteil als “Skandal”:

In vielen Ländern der Welt seien Journalisten willkürlichen Strafverfahren wegen Verleumdung ausgesetzt. Fast immer sei dies ein Vorwand, um Pressefreiheit zu unterdrücken. “Der Dresdner Prozess zeigt das gleiche Muster: Justizbehörden benutzen das Strafrecht gegen unliebsame Journalisten”, reagiert ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske.

Auch der Deutsche Journalisten Verband (DJV) kritisiert das Urteil: In Zukunft könnte nun auch anderswo versucht werden, “kritisch und investigativ recherchierende Journalisten einzuschüchtern,” befürchtet DJV-Chef Michael Konken. “In Anklage und Prozess wurden völlig normale journalistische Arbeitsabläufe und Handlungen kriminalisiert. Das können wir nicht hinnehmen“, erklärte die sächsische DJV-Landesvorsitzende Sabine Bachert. Man werde die Urteilsbegründung abwarten und behalte sich weitere Schritte vor, so der DJV-Landesverband Sachsen, der die beiden freien Journalisten juristisch berät.

Gegenstand der Anklage sind Artikel im Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” und bei “Zeit Online” aus dem Jahr 2008 zum “Sachsen-Sumpf” – eine mögliche Korruptionsaffäre, in dem es auch um eventuelle Verstrickungen ranghoher sächsischer Justizvertreter geht. Ginzel und Datt waren Autoren des “Zeit Online”-Berichts und an dem “Spiegel”-Artikel als Co-Autoren beteiligt. Ihnen werden ehrverletzende Tatsachenbehauptung, üble Nachrede und Verleumdung vorgeworfen. Der Hintergrund der Anklage ist hier online abrufbar. Der entsprechende Beitrag bei “Zeit Online” kann hier gelesen werden.

ROG und DJV hatten bereits im Vorfeld der Gerichtsverhandlung Freispruch für die beiden Journalisten gefordert:

“Eine Verurteilung der beiden Journalisten würde den Rechtsstaat beschädigen und die Pressefreiheit verletzen”, betonte die stellvertretende Bundesvorsitzende des DJV, Ulrike Kaiser: “Das Verfahren war und ist in unseren Augen der Versuch der Einschüchterung von investigativ recherchierenden Journalisten.” Im Prozess wurde laut DJV durch Zeugenaussagen und Akten, die durch die Angeklagten eingeführt wurden, erwiesen, dass es die im Bericht aufgezeigten Unstimmigkeiten tatsächlich gab”. Und zudem sollte in diesem Fall “auch die mögliche Einflussnahme von Landesbehörden auf das Strafverfahren gegen die beiden freien Journalisten aufgeklärt werden”. “Eine Verurteilung wäre nicht nachvollziehbar”, so Kaiser.

“Journalistische Handlungen werden in dem Prozess zu Unrecht kriminalisiert. Eine der wichtigsten Funktionen der Medien ist es, Missstände aufzudecken. Eine Verurteilung würde künftige Berichterstattung zu Korruptionsaffären behindern und damit die Pressefreiheit beeinträchtigen,” warnte Rediske: “Schon die Einleitung des Strafverfahrens gegen die freien Journalisten Arndt Ginzel und Thomas Datt, die im so genannten “Sachsen-Sumpf” recherchiert hatten, sei mehr als fragwürdig gewesen. Schließlich hätten sich die Nebenkläger nicht einmal getraut, presserechtlich gegen die angeblich diffamierenden Äußerungen vorzugehen”. Zudem habe viel in dem Prozess darauf hingedeutet, “dass Behörden Druck auf investigativ recherchierende Journalisten ausüben wollen”, kritisiert Rediske.