Archiv für Januar 2004

Freitag, 16. Januar 2004, von Elmar Leimgruber

Das Gehirn des Musikers – funktionelle Unterschiede bei Berufsmusikern

Unterscheidet sich die Gehirnaktivität eines Profi-Violinisten gegenüber dem eines Amateurgeigers beim Spielen des gleichen Violinkonzertes? Können sich auch Amateure das Spiel auf der Geige vorstellen – ein bei professionellen Spielern häufig benutztes Trainingsverfahren – und was passiert dabei in ihrem Gehirn? Dies wurde in einer Studie* des Instituts für Medizinische Psychologie Tübingen von der Arbeitsgruppe um Dr. Martin Lotze erforscht, die jetzt in NeuroImage erschienen ist. Dabei zeigten sich deutliche Differenzen in den Gehirnaktivitäten von Berufsmusikern und Amateuren.
Acht Profi-Violinisten und acht Amateure wurden beim Spielen des Violinkonzertes in G Dur von W. A. Mozart (KV 216) mit funktioneller Kernspintomographie (fMRT) untersucht. Mit diesem Verfahren wird durch starke Magnetfelder die Hirnaktivität dargestellt ohne gesundheitliche Belastung für den Untersuchten.
Da es in der Kernspinröhre sehr eng und laut ist, eignet sich das fMRT nicht besonders gut für Studien, in denen es um Musik geht. Um dennoch Musiker zu untersuchen, wurde auf das Spiel mit dem tatsächlichen Instrument verzichtet, und die Seitengreifbewegungen der linken Hand ohne den Geigensteg durchgeführt. Während der fMRT-Untersuchung wurde zudem die Stärke der Muskelbewegung mittels Elektromyographie dargestellt. Bei dieser Untersuchung zeigten die Profis eine signifikant erhöhte Aktivität der Zielmuskeln. Sie leisten also effektiv mehr beim Spiel des Stückes. Im fMRT hingegen zeigten sie viel ökonomischere Aktivierungen des Gehirns. Diese verteilen sich nicht so stark wie bei den Amateuren über eine Vielzahl von Gehirnregionen, sondern konzentrieren sich vor allem auf drei Regionen: Erstens auf das kontralaterale primäre motorische Zentrum, das die präzise Bewegung steuert, zweitens auf die primäre akustische Hörrinde. Hier hat sich durch das jahrzehntelange Üben mit dem Instrument eine feste Verarbeitungsschleife gebildet, die automatisch beim Fingerspiel – auch ohne tatsächlich hörbare Musik – ein inneres Mithören aktiviert. Und drittens auf übergeordnete Areale im oberen Parietallappen, die motorische Bewegungsprogramme und sensorisches Feedback integrieren. Alle drei verstärkt aktivierten Gehirnregionen dürften für die erhöhte Qualität der Aufführung im Gegensatz zu den unökonomisch aktivierenden Amateuren mitverantwortlich sein.
Die gesteigerte Aktivität sowohl der taktilen als auch der auditiven Komponenten spiegeln eine bereits aus der Musikerforschung aufgezeigte verbesserte sensorische Kontrolle der Fingerbewegungen bei Profimusikern wider. Eine Ökonomisierung der motorischen Steuerung schafft dafür die notwendig Kapazität.
Auch beim vorgestellten Spiel des Musikstückes zeigen Amateurmusiker die für sie charakteristische unökonomische weit verteilte Gehirnaktivierung im Gegensatz zu den Profis. Interessanterweise sind jetzt die vorher beobachteten Verarbeitungsschleifen zwischen dem primären akustischen und dem motorischen Areal nicht aktiv – ein Hinweis darauf, dass dieser Verarbeitungsweg dem ausgeführten Musikspiel vorbehalten ist.