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Mittwoch, 13. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

Europaparlament sucht Praktikanten

Europa ruft
Foto: © Leimgruber

Noch bis zum 15. Oktober können sich junge Hochschulabsolventen für fünfmonatige bezahlte Praktika beim Europäischen Parlament (EP) bewerben, die im März 2011 beginnen. Das Parlament kann nur etwa einem von Zwanzig Bewerbern einen Platz anbieten, insgesamt nimmt das EP mehrere hundert Praktikanten jährlich auf. Im Jahr bewerben sich fast fünftausend Hochschulabsolventen für ein bezahltes, fünfmonatiges Praktikum in der Parlamentsverwaltung in Brüssel oder Luxemburg.

Für ein bezahltes Praktikum ist ein abgeschlossenes Studium Voraussetzung. Neben den bezahlten Praktika bewerben sich fast drei Tausend junge Erwachsene für ein unbezahltes ein- bis viermonatiges Praktikum. Voraussetzung ist das Abitur, Priorität wird Bewerbern gegeben, für die im Rahmen von Studium oder Ausbildung ein Praktikum vorgeschrieben ist. Besondere Praktika bietet das Parlament angehenden Übersetzern und Dolmetschern an. Außerdem gibt es seit Kurzem ein spezielles Praktikumsprogramm für Menschen mit Behinderungen. Die Praktika beginnen im März oder Oktober.

Auch viele Abgeordneten-Büros in Brüssel und den Wahlkreisen (z.T. auch in Straßburg) nehmen regelmäßig Praktikanten auf. Die Anforderungen und Möglichkeiten variieren. Wer sich für ein Praktikum bei einem Abgeordneten interessiert, sollte sich direkt mit dem jeweiligen Büro in Verbindung setzten bzw. sich dort bewerben. Und die EU-Kommission nimmt ebenfalls jährlich mehrere hundert Praktikanten auf. Weitere Möglichkeiten bieten Interesseverbände, Politikberatungsfirmen, internationale Kanzleien, Nichtstaatliche Organisationen, Ländervertretungen.

Aus Deutschland kommen laut EP in der Regel fünfmal so viele Anfragen, wie aus Österreich, wobei die Italiener Tabellenführer bei der Anzahl eingereichter Anträge sind. “Die Zahl der Praktikanten, die wir annehmen können, hängt von den vorhandenen Finanzmitteln und der Aufnahmekapazität der Dienststellen ab, d.h. wie viel Büroplatz sie haben und wie viele Praktikanten sie sinnvoll begleiten können”, so das Praktikantenbüro des Parlaments.

Dienstag, 12. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

Die Hoffnung stirbt zuletzt – Kommentar zum Wiener Wahlergebnis

Die SPÖ hat bei den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen bekommen, was sie verdient hat: eine kräftige Wahlschlappe. Sie konnte sich zwar als stimmenstärkste Partei behaupten, vor allem durch einen monatelang anhaltenden klugen psychologischen Wahlkampf, der viele Menschen in Wien arglistig getäuscht hat mit der falschen Botschaft: Wien ist die lebenswerteste Stadt, wegen der SPÖ. Aber sie hat -und da müsste eigentlich jeder überzeugte Demokrat dafür dankbar sein- die Absolute Mehrheit und damit dem Absoluten Machtanspruch, den sie unbedingt haben wollte, verfehlt. Und der Grund dafür liegt unter anderem an ihrem Anspruch auf Alleinherrschaft und der damit verbundenen Arroganz und Überheblichkeit und Ignoranz gegenüber den echten Sorgen der Bürger der Stadt.

Dass die SPÖ noch immer relativ viele Stimmen erhielt, ist aber wohl auch auf eine massive Geldverschwendung im Wahlkampf (die die Wiener Bevölkerung schon bald durch neue ebenso massive Belastungspakete bezahlen wird müssen) und tragischerweise auch auf eine gezielte Unterstützung durch die einflussreichsten Medien des Landes: ORF (ob die ÖVP jetzt endlich der roten Alleinherrschaft im ORF ein Ende setzen wird? Zeit wärs!), Kronenzeitung, Heute und Österreich zurückzuführen. Und ja: das Wiener Wahlrecht gehört reformiert hin in Richtung mehr Demokratie, politischer Vielfalt und Meinungsfreiheit. Und das Wahlkartensystem gehört entweder grundlegend überarbeitet (eine Stimmabgabe nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses muss unmöglich werden!) und abgeschafft.

Bei all dem, was sich die Wiener SPÖ seit Jahren auf Kosten seiner Bürger leistet, darf es auch nicht weiter verwundern, wenn ausgerechnet der einzige (leider!) wirkliche politische Gegner (weil als einziger Bürgermeisterkandidat neben Häupl Strache auftrat), die FPÖ, der grosse Wahlsieger wurde. Machtbesessenheit und Ignoranz werden meist vom Wähler bestraft. Und ja, es gibt in Wien ein immer problematischer werdendes schwerwiegendes Integrationsproblem: Dass viele Zuwanderer, speziell aus islamischen Herkunftsländern sich nicht integrieren wollen, ist eine Tatsache. Und dass die offiziellen Zahlen der Stadt Wien vielleicht nur insofern stimmen, weil während der zu langen Wiener SPÖ-Alleinherrschaft bis vor noch nicht allzulanger Zeit fast jeder ohne die nötigen Sprachkenntnisse und ohne Integrationswillen sehr schnell die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt und auch alle Familienangehörigen problemlos ebenfalls -ohne die geringsten Voraussetzungen hierfür- ebenfalls zu Staatsbürgern wurden und damit auch Anspruch auf die Sozialleistungen inklusive Sozialwohnungen der Stadt erhielten.

Und ja: HC Strache wird von vielen Einheimischen, aber auch Zuwanderern aus der EU und aus anderen nicht islamischen Ländern als jener Politiker gesehen, der ihre Sorgen nicht nur erkennt, sondern auch ernstnimmt und thematisiert. Und daher wurde er auch bei den Wiener Gemeinderatswahlen so massiv gewählt: Nicht, weil -wie unverbesserliche Ignoranten immer wieder zu suggerieren versuchen- weil die Menschen “braun” wären, sondern weil sie berechtigte Ängste vor Überfremdung haben und vor allem von der regierenden SPÖ, aber auch von den Grünen nicht ernst genommen werden. Und es gibt nun mal einen gravierenden Unterschied zwischen dem klassischen Einwanderungsland Österreich, in dem seit jeher Menschen aus den umliegenden Ländern Heimat suchten und auch fanden und zu jenen “neuen” Einwanderern, die sich schon aufgrund ihrer Mentalität nicht dem abendländischen Kultur- und Menschenbild und Demokratieverständnis verpflichtet fühlen, die sich nicht als Gäste empfinden, sondern als Herren und die daher gar nicht im Geringsten daran denken, sich zu integrieren.

Friedliches Zusammenleben ist aber eben nun mal nur mit jenen Menschen möglich, die selbst auch Wert darauf legen und es auch selbst leben, aber nicht mit solchen, die sich nicht integrieren wollen und die vielleicht zudem auch noch ihre eigene Kultur dem christlich-liberalen europäischen Abendland aufzuzwingen versuchen. Die diesbezüglich mahnenden Stimmen kommen inzwischen bei weitem nicht nur aus dem so genannten rechten politischen Lager, sondern auch unter anderem aus der deutschen Sozialdemokratie (Thilo Sarazzin, SPD), aus der CSU (Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer) und selbst von der bekannten Feministin Alice Schwarzer. Dass mangelnder Integrationswille von Migranten schon jetzt aber vor allem längerfristig ein schwerwiegendes Problem für ganz Europa (und das muss auch europaweit angepackt werden) darstellt, das dringendst gelöst werden muss, sollte mittlerweile endlich auch von den Naivsten erkannt werden, aber vor allem von regierenden, also konkret Verantwortung tragenden Parteien.

HC Strache jedenfalls wird weiterhin Wahlen gewinnen, so lange die berechtigten Sorgen der Menschen von den anderen Parteien ignoriert werden und vor allem, wenn diesbezügliche Meinungsfreiheit weiterhin mit öffentlicher Ächtung bestraft wird. Kann man es einem populistischen Politiker verübeln, dass er die Sorgen, die viele Menschen haben, thematisiert und zu seinem Anliegen macht?

Neben der SPÖ hat aber auch die ÖVP bei diesen Wahlen viele Stimmen eingebüsst, was nur vielleicht auch darauf zurückzuführen ist, dass sie besonders nach der Steiermarkwahl plötzlich mit harten Migrations-Themen aufzutrumpfen versuchte, wie es uns linke Medien zu vermitteln versuchen. Viel mehr liegt die Ursache ihrer Wahlschlappe wohl eher an einer schwarzen Themenlosigkeit im Wiener Wahlkampf und vor allem an ihrem unterwürfigen Kuschelkurs der SPÖ gegenüber. Die Wiener ÖVP ist es einfach seit Jahrzehnten gewohnt, es sich in Wien bei der SPÖ bequem zu machen, sich mit ihr zu arrangieren und daher besser auch im Wahlkampf nicht zusehr anzuecken. Und dieses schäbige Verhalten wurde von den Wählen auch abgestraft. Und natürlich muss jetzt nicht nur in der Wiener ÖVP, sondern auch an der der Bundesspitze der ÖVP endlich umgedacht werden und selbst personelle Konsequenzen werden wohl folgen müssen. Die ÖVP muss von ihrem hohen Ross der Privilegien und der Teilhabe an der Macht runtersteigen und konkret auf die Menschen und ihre Probleme und Sorgen eingehen: Wirtschaftswachstum ist gut und notwendig, aber nicht auf Kosten der Schwächsten in der Gesellschaft.

Dass die Grünen trotz ihres parteiinternen Streits (und hier bin ich enttäuscht, dass die von den Grünen rausgemobbten Intellektuellen nicht mehr Stimmen erhielten) und der Überheblichkeit einiger weniger unbedingter egoistischer Machtmenschen noch relativ gut abgeschnitten haben, liegt vor allem an einem: an ihrem mit Engelsgeduld ausgestatteten Ex-Chef Alexander Van der Bellen, der -für viele Intellektuelle absolut nicht mehr nachvollziehbar- sie auch in diesem Wahlkampf unterstützt hat, obwohl sie seinen vorgeschlagenen klugen grünen Weg schon längst durch billige Machtspielchen, Mobbing und Intrigen ersetzt haben. Hätten die Grünen wirklich klug entschieden, hätten sie ihn als Bürgermeisterkandidaten für Wien aufgestellt und es wäre ein echt spannender Wahlkampf der Bürgermeisterkandidaten Häupl, Van der Bellen und Strache geworden. So aber spielte Van der Bellen offiziell im Grünen Wahlkampf keine Rolle. Und dennoch wurde er die Nummer 2 der Vorzugsstimmensieger in Wien: Er erhielt nach dem vorläufigen Endergebnis der Wiener Wahl 9162 Vorzugsstimmen und liegt damit nur knapp hinter dem amtierenden Bürgermeister Michael Häupl mit 9436 Vorzugsstimmen, während die überall beworbene grüne Spitzenkandidatin Maria Vassilakou, die eine vollkommene Fehlbesetzung darstellt, nur 4083 Vorzugstimmen erhielt. FP-Chef Strache erhielt übrigens 8431, die Wiener VP-Chefin Christine Marek 2554 Stimmen.

Dass das BZÖ zwar Stimmen dazugewinnen konnte, aber kein Mandat im Wiener Gemeinderat erhielt, ist ein Verlust für die Demokratie und Vielfalt, vertrat es doch äusserst bürgerliche Themen, die im Wahlkampf aber wohl nicht auffielen. Das lag sicher weniger am durchaus sympathischen Spitzenkandidaten Walter Sonnleitner, sondern daran, dass diese Partei weder das Budget für einen weithin sichtbaren Wahlkampf, als auch kein wirklich starkes Profil an der Spitze (mehr) hat. Will das BZÖ nach den nächsten Nationalratswahlen weiterhin im Parlament vertreten sein, braucht es wohl wieder kantige Politiker mit Profil wie ehemals Peter Westenthaler oder Ewald Stadler.

Nun bleibt aber die Frage, wie es weitergehn soll in Wien: Der linke Flügel der SPÖ, massiv unterstützt vom ORF und anderen linksorientierten Medien fordert nun lautstark eine Koalition mit den Grünen. Häupl selbst, “Macher” der grossen Koalition auf Bundesebene, tendiert sicher auch in Wien eher zu einer Koalition mit der äusserst bescheidenen, devoten und willigen ÖVP.

Kommt es zur Koalition mit den Grünen (sofern dies von der grünen Basis nach den Koalitionsverhandlungen überhaupt noch erwünscht ist), könnten eventuell die Öffentlichen Verkehrsmittel noch stärker subventioniert werden zugunsten von günstigeren Jahreskarten, was wohl das einzig Positive in dieser Koalition wäre. Die Wiener Regierung würde insgesamt einen äusserst gefährlichen Linksruck vollziehen und die brennenden Themen der Stadt wie Wirtschaftswachstum und Integration würden nicht nur boykottiert, sondern (schon mangels Finanzierbarkeit) zu einer massiven Verschlechterung der Lebensqualität in Wien führen, die längerfristig zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen könnte.

Kommt es hingegen zur Koalition mit der ÖVP, bleibt Wien als Wirtschaftstandort wichtig, was auch einen weiteren gewissen Wohlstand und damit Frieden innerhalb der Stadt garantiert. Nur muss die Wiener ÖVP sich hier endlich ein eigenes starkes Profil zulegen und ich plädiere dafür, dass die starke ÖVP-Bezirksvorsteherin des 1. Bezirks, Ursula Stenzel, Vizebürgermeisterin wird und ihrer Forderung nach Stärkung der Autonomie der einzelnen Wiener Bezirke Vorschub leistet und überhaupt für mehr Lebensqualität in der Stadt sorgt.

Kommt es aber zur Koalition der SPÖ mit der ÖVP (nicht mit Stenzel an der Spitze) ist leider zu befürchten, dass der devote Kuschelkurs der ÖVP fortgesetzt wird und sich Häupl sich ihrer bedienen wird, um längst fällige “rechte” Reformen durchzusetzen, die er im eigenen Namen beziehungsweise im Namen der SPÖ nicht durchführen kann, wo er aber anschliessend die ÖVP als einen billigen “Schuldigen” präsentieren kann. Hier muss die ÖVP sehr darauf achten, sich nicht für unpopuläre Reformen instrumentalisieren zu lassen und dann auch noch die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen.

Wie auch immer die Koaltionsverhandlungen in Wien enden werden: Ich hoffe auf positive und bessere Weichenstellungen für Wien und seine Bevölkerung, aber auch für ganz Österreich. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt…

Und hier ist mein Kommentar im Vorfeld der Wiener Wahl nachzulesen.

Sonntag, 10. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

Internationaler Tag gegen die Todesstrafe – EP fordert Moratorium für Hinrichtungen

Weltweit vollziehen nach wie vor 43 Staaten die Todesstrafe. Der 10. Oktober ist der Welttag gegen die Todesstrafe. Anlässlich des heurigen 8. Welttages haben die Abgeordneten des Europa-Parlaments (EP) eine Entschließung, in der sie mehrfach und unter allen Umständen die Todesstrafe verurteilen, angenommen. Das Parlament fordert in seiner Entschließung ein bedingungsloses weltweites Moratorium für Hinrichtungen, mit dem Ziel, die Todesstrafe in allen Staaten, in denen sie nach wie vor angewandt wird, endgültig abzuschaffen. Während der Eröffnung der Plenarsitzung erklärte EP-Präsident Jerzy Buzek, dass “der Tod nie als eine Form von Gerechtigkeit betrachtet werden könne”. Die Resolution -hier abrufbar- wurde mit 574 Ja-Stimmen bei 25 Nein-Stimmen und 39 Enthaltungen angenommen.

Die Abgeordneten betonen, dass der neue Europäische Außendienst (EAD) Leitlinien für eine umfassende und wirksame europäische Politik in Bezug auf die Todesstrafe bereitstelle, im Hinblick auf die Dutzenden von europäischen Bürgern, die in Drittstaaten hingerichtet werden sollen. “Diese Leitlinien sollen leistungsfähige und verstärkte Mechanismen im Bereich des Identifizierungssystems, des Rechtsbeistands, der Rechtshilfe und der diplomatischen Vertretungen der EU umfassen.”


Belarus ist das einzige europäische Land, in dem die Todesstrafe in der Praxis noch angewandt wird. Das Parlament fordert ferner Kasachstan und Lettland auf, ihre nationalen Rechtsvorschriften, die die Verhängung der Todesstrafe für bestimmte Verbrechen unter außerordentlichen Umständen nach wie vor gestatten, entsprechend abzuändern.

Die höchste Zahl der Hinrichtungen fand laut EP in China, im Iran und Irak statt. Allein in China wurden 5000 Hinrichtungen oder 88% aller Hinrichtungen auf der Welt vollzogen. Im Iran wurden mindestens 402 Menschen, im Irak mindestens 77 Menschen und in Saudi-Arabien mindestens 69 Menschen hingerichtet. Weitere Länder, die die Todesstrafe durchführen, sind: Ägypten, Malaysia, Sudan, Thailand, Vietnam, Nordkorea, Japan und die USA. In 35 der 50 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika kann die Todesstrafe verhängt werden, wobei 4 von ihnen seit 1976 keine Hinrichtungen mehr durchgeführt haben.

Die Europäische Union ist einer der führenden Geldgeber, die die Bemühungen von Organisationen der Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Todesstrafe unterstützen. Das ist eine der thematischen Prioritäten für Unterstützung im Rahmen der Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR). Seit 1994 wurden weltweit über 30 Projekte von EIDHR finanziert, mit einem Gesamtbudget von über 15 Mio. Euro.

Freitag, 8. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

6,4 Mrd. Euro für Forschung, Wachstum und Beschäftigung

Die Europäische Kommission wird fast 6,4 Mrd. EUR in Forschung und Innovation investieren. Das kündigte EU-Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn an. Mit den Geldern sollen wissenschaftliche Grenzen überwunden, die Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessert und gesellschaftliche Herausforderungen bewältigt werden, darunter der Klimawandel, Energieversorgungs- und Ernährungssicherheit sowie Gesundheit und Bevölkerungsalterung. Empfänger sind rund 16 000 Teilnehmer aus Forschungsorganisationen, Universitäten und der Industrie, darunter auch rund 3000 kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

Die Zuschüsse werden im Rahmen so genannter Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen (Ausschreibungen) vergeben, die in den kommenden 14 Monaten durchgeführt und ausgewertet werden. Mehrere dieser Ausschreibungen werden am 20. Juli veröffentlicht. Das Paket soll die Wirtschaft ankurbeln und mehr als 165 000 Arbeitsplätze entstehen lassen. Es ist zudem eine langfristige Investition in ein intelligenteres, nachhaltiges und sozialeres Europa. Das Paket ist wichtiger Bestandteil der EU-Strategie „Europa 2020“ und insbesondere der im Herbst 2010 beginnenden Leitinitiative „Union der Innovation“.

EU-Kommissarin Geoghegan-Quinn erklärte: „Investitionen in Forschung und Innovation sind der einzige intelligente Weg, der dauerhaft aus der Krise führt hin zu einem nachhaltigen und sozial gerechten Wachstum. Dieses europäische Paket wird einen Beitrag zu neuen und besseren Produkten und Diensten leisten, zu einem wettbewerbsfähigeren und umweltfreundlicheren Europa sowie zu einer besseren Gesellschaft von höherer Lebensqualität. Wir stellen Forschern und Innovatoren 6,4 Mrd. EUR für Vorreiterprojekte zur Verfügung, bei denen wichtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen im Mittelpunkt stehen: Klimawandel, Energieversorgungs- und Ernährungssicherheit, Gesundheit und Bevölkerungs­alterung. Dies ist ein enormer und effizienter wirtschaftlicher Impuls und eine Investition in unsere Zukunft.

Innerhalb des Siebten EU-Rahmenprogramms können für eine Vielzahl von Bereichen Zuschüsse beantragt werden. Beispielsweise sind für Gesundheit mehr als 600 Mio. EUR vorgesehen. Mit weiteren 1,2 Mrd. EUR wird die Forschung in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) vorangetrieben und dazu beigetragen, dass die in der „Digitalen Agenda für Europa“ getroffene Zusage der Kommission, das IKT-Budget jedes Jahr aufzustocken, eingehalten werden kann.

Mehr als 1,3 Mrd. EUR sind für die besten kreativen Wissenschaftler eingeplant, die vom Europäischen Forschungsrat ausgewählt werden.

Eine der wichtigsten Prioritäten sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die das Rückgrat des europäischen Innovationssystems bilden und 99 % aller europäischen Unternehmen repräsentieren. KMU erhalten fast 800 Mio. EUR und erstmals unterliegen mehrere Bereiche einer Budgetkontrolle. Beispielsweise muss in den Bereichen Gesundheit, wissensgestützte Bio-Wirtschaft, Umwelt und Nanotechnologien bei bestimmten Themen ein KMU-Anteil von 35 % des Gesamtbudgets erreicht werden.

Eines der Kernstücke des Pakets besteht darin, Forschungsergebnisse in neue Technologien, Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln.

Allein in der Gesundheitsforschung werden ca. 206 Mio. EUR – ein Drittel des Jahresbudgets für 2011 – für von den Forschern selbst angeregte klinische Studien ausgegeben, damit neue Medikamente schneller auf den Markt gelangen.

Bei den Nanotechnologien (270 Mio. EUR) wird der Schwerpunkt auf Forschung gelegt, die zu neuen Patent- und Vermarktungsmöglichkeiten führen könnte.

Im IKT-Bereich sind rund 600 Mio. EUR für Netz- und Dienstinfrastrukturen der nächsten Generation, Robotersysteme, Elektronik- und Photonik-Bausteine sowie für Technologien zur Nutzung digitaler Inhalte vorgesehen. Über 400 Mio. EUR fließen in die Forschung darüber, wie mit Hilfe der IKT Herausforderungen wie eine CO2-ärmere Wirtschaft, die Alterung der Bevölkerung oder flexible und nachhaltige Fabriken bewältigt werden können. Weitere 90 Mio. EUR sind 2011 für die öffentlich-private Partnerschaft für das Internet der Zukunft bestimmt, um europäische Schlüsselinfrastrukturen „intelligenter“ zu machen.

Für Projekte im Bereich der Umweltforschung sind rund 205 Mio. EUR vorgesehen. In diesem Jahr unternimmt die Kommission Maßnahmen für einen rascheren Austausch entsprechender Forschungsergebnisse: Die Empfänger von EU-Zuschüssen verpflichten sich, Publikationen ihrer Forschungsarbeit nach einer gewissen Sperrfrist frei zugänglich zu machen

Im Jahr 2011 stehen für Ausschreibungen des Siebten Rahmenprogramms 6,4 Mrd. EUR zur Verfügung, ein Plus von 12 % gegenüber 2010 (5,7 Mrd. EUR) und von 30 % gegenüber 2009 (4,9 Mrd. EUR).

Das Siebte Rahmenprogramm ist mit mehr als 50,5 Mrd. EUR für 2007-2013 (ohne Euratom) das weltweit größte Programm im Forschungsbereich.

Mit dem Beschluss der Strategie „Europa 2020“ setzten die europäischen Staats- und Regierungschefs Forschung und Innovation an die oberste Stelle der europäischen Politikagenda und machten sie damit zu Schlüsselbereichen für Investitionen in nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung.

Die heute Ausschreibungen fügen sich in die EU-Leitinitiative „Union der Innovation“ ein, für die EU-Kommissarin Geoghegan-Quinn im Herbst 2010 den Startschuss geben wird. Sie ist zentraler Bestandteil der Strategie „Europa 2020“ und soll die gesamte Innovationskette von der Forschung bis zur Kommerzialisierung verbessern, indem wissenschaftliche Arbeiten von internationalem Rang mit einer Innovationswirtschaft (I-conomy) verschmolzen werden. Die Initiative wird Engpässe beseitigen, die einem gemeinsamen Innovationsmarkt im Wege stehen und Europa daran hindern, mit den USA und anderen Wettbewerbern angemessen zu konkurrieren.

Darüber hinaus werden „Innovationspartnerschaften“ gegründet, die die wichtigsten Akteure aus Schlüsselbereichen zusammenführen und das richtige Gleichgewicht zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb herstellen sollen.

Forschungs-Website der EU-Kommission:

http://ec.europa.eu/dgs/research/index_de.html

Mittwoch, 6. Oktober 2010, von Elmar Leimgruber

Wiener Europäische Filmtage im Zeichen Humanitärer Hilfe

Europäische Filmtage: “Bewegende Bilder”
Foto: ECHO/TM/com_unit

Vom 11. bis 14. Oktober 2010 zeigt das Wiener Admiral Kino Dokumentationen und Spielfilme, die das Schicksal von Menschen in Krisengebieten aus nächster Nähe beleuchten. Veranstaltet wird “BEWEGENDE BILDER – EU-Filmtage im Zeichen humanitärer Hilfe” vom Dienst für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission (ECHO). Der Eintritt zu allen Filmen ist kostenlos.

Gezeigt werden neben erfolgreichen Spielfilmen wie “Hotel Ruanda”, “Wüstenblume” und “Waffenstillstand” auch Dokumentationen. Schulklassen sind eingeladen, die Vorführungen am Vormittag (Beginn 9.00 Uhr) zu besuchen. In den anschließenden Diskussionen können sich die Schüler mit Experten zum Thema “Humanitäre Hilfe” austauschen.Sieben von zehn Österreichern halten es laut Eurobarometer 2010 für wichtig, dass die EU Humanitäre Hilfe in Drittländern Europas leistet. Die Europäische Union ist der weltweit größte Geber humanitärer Hilfe. ECHO allein hat im letzten Jahr Not leidenden Menschen in über 70 Ländern mit knapp einer Milliarde Euro geholfen.

“Ziel der Filmtage ist es, den Blick für humanitäre Krisen zu schärfen und zu zeigen, wie geholfen werden kann”, erklärt Thorsten Münch von ECHO. Die jüngsten Überschwemmungen in Pakistan machten deutlich, wie wichtig Hilfe für Menschen in Notsituationen ist. Denn ob Flutkatastrophen, Dürre, Kriege oder Hungersnöte – humanitäre
Krisen entziehen den Betroffenen ihre Lebensgrundlage.

Dienstag, 28. September 2010, von Elmar Leimgruber

Landeshauptmänner Pröll (NÖ) und Durnwalder (Südtirol) kämpfen gemeinsam um EU-Regionalförderungen

Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll zu Gast bei seinem Südtiroler Amtskollegen Luis Durnwalder
Foto: LPA Pertl

Das gemeinsame Vorgehen der beiden Regionen Südtirol und Niederösterreich (NÖ) in Sachen EU-Regionalförderungen war das prägende Thema eines Arbeitsgespräches von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll mit seinem Südtiroler Amtskollegen Luis Durnwalder in Bozen. “Als Regionen fordern wir auch für die Zukunft eine Entwicklungsförderung für Berggebiete und benachteiligte Regionen im Sinne von Ziel 2″, erklärte LH Durnwalder. Dieser Forderung soll bei den zuständigen Stellen Brüssel Nachdruck verleihen werden.

“Wir sind in der entscheidenden Phase, wo es darum geht, Geld aus Brüssel in die Regionen zu holen”, sagte Pröll nach dem Gespräch. Bereits am 7. Oktober soll dem österreichischen EU-Regionen-Kommissar Johannes Hahn in Brüssel ein Dokument überreicht werden, in dem 132 der 172 Regionen Garantien für eine angemessene europäische Landwirtschaftsförderung über das Jahr 2013 hinaus fordern. Auch das Land Südtirol wird sich an dieser Aktion beteiligen.

“Über das Ziel-2-Programm sind 26 Millionen Euro nach Südtirol geflossen, während Niederösterreich als Grenzland in den Genuss von 146 Millionen Euro an EU-Fördermitteln gekommen ist”, so LH Durnwalder. Südtirol habe jedenfalls von Anfang an die Initiative Niederösterreichs unterstützt, gemeinsam in Brüssel aufzutreten, damit bei einer Neuregelung der EU-Regionalförderkulisse ab dem Jahr 2014 weiterhin Geld für die Entwicklung ländlicher Gebiete zur Verfügung steht.

“Die Zusammenarbeit in den Bereichen der Innovation und Forschung ist mir ein besonderes Anliegen”, erklärte Landeshauptmann Luis Durnwalder weiter, “zumal Niederösterreich im Bereich der angewandten Forschung und der neuen Technologien eine Voreiterrolle einnimmt.” Beim Treffen der beiden Landleute im Palais Widmann wurde in diesem Zusammenhang über erfolgreiche Projekte und Erfahrungen kleiner und mittlerer Betriebe, über eine wirksame Förderungspolitik und über die Schaffung einer grenzüberschreitenden Kooperations-Plattform der Forschungseinrichtungen gesprochen. Grünes Licht gaben die Landeshauptleute für Zusammenarbeitsvorhaben der beiden landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen Laimburg (Südtirol) und Klosterneuburg (NÖ).

Der langjährige niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll hat sich im Rahmen seines Südtirol-Aufenthaltes auch über den “Holz-Cluster” informiert, das Kooperationsnetzwerk zwischen Wissenschaft und Handwerk im Holzbereich. Außerdem nahm er in Sand in Taufers an der Verleihung des Europäischen Dorferneuerungspreises teil.”Holz ist ein nachwachsender umweltfreundlicher Rohstoff, der in Zukunft noch vermehrt genutzt werden soll”, so Pröll. Der Besuch in Südtirol solle daher “helfen, Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus Niederösterreich und Südtirol zusammenzuführen, damit sie gegenseitig Erfahrungen und Know-how austauschen können”, so Pröll.


Montag, 27. September 2010, von Elmar Leimgruber

Fraunhofer: 100 Prozent Erneuerbare Energie sind möglich

Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer Gesellschaft
Foto: fraunhofer.de

In Zeiten, in denen über neue Atomkraftwerke diskutiert wird, kommt jetzt eine intertessante Aussage von wem, der Bescheid weiss: “Eine Energieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien ist schon 2050 machbar.” Dies betonte Eicke R. Weber, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und Sprecher der Fraunhofer-Allianz Energie bei der Eröffnung der Fraunhofer-Energietage. Das Motto der zweitägigen Veranstaltung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften lautete: Energiekonzept Deutschland – Mit neuer Energie. Auf den Fraunhofer-Energietagen, die am 23. und 24. September 2010 stattfanden, beschäftigten sich Wissenschaftler, Unternehmer und PoIitiker damit, wie Deutschland den Übergang zu einer nachhaltigen, sicheren, wirtschaftlichen und umweltfreundlichen Energiewirtschaft schaffen kann.

Die prognostizierten wirtschaftlichen Potenziale lassen sich laut Fraunhofer aber nur nutzen, wenn die einzelnen Akteure der weitverzweigten Energieforschung enger zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist der Ausgleich von dem Angebot und Nachfrage nach Strom in intelligenten Netzen und die Speicherung von erneuerbarer Energie. Um diese Verzahnung zu fördern, hat die Fraunhofer-Gesellschaft 2004 ihre Aktivitäten für Energietechnologien in der Fraunhofer-Allianz Energie gebündelt. Die 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 16 Instituten betreiben international systemübergreifende Energieforschung über Technologie- und Branchengrenzen hinweg. Ziel ist, auch kleinen und mittelständischen Unternehmen, aber auch Politik und Energiewirtschaft einen leichten Zugang zu den Kompetenzen der Fraunhofer-Institute zu verschaffen.

Die Fraunhofer-Allianz Energie konzentriert sich hier auf fünf strategische Forschungsbereiche. Die Forscher arbeiten an der Weiterentwicklung energieeffizienter Technologien, intelligenten Systemen zum Energiemanagement, neuen Speichersystemen sowie Verfahren zur Nutzung regenerativer Energien. “Wir sind national und international vernetzt. Um die Entwicklung von Elektrofahrzeugen voranzutreiben, arbeiten 33 Fraunhofer-Institute Hand in Hand. Sie kümmern sich nicht nur um Antriebskonzepte, sondern auch darum, wie Solartankstellen aussehen müssen oder welche Herausforderungen auf Stromversorgung und Stadtplanung zukommenerläuterte Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft : “Als strategischer Partner ist Fraunhofer am Massachusetts Institute of Technology MIT ebenso aktiv wie in dem ambitionierten Ökostadtprojekt Masdar City in Abu Dhabi und der europäischen Initiative DESERTEC.”

Die Förderung der regenerativen Energien schont zudem nicht nur die Ressourcen, sondern stärkt auch die Unternehmen hierzulande. “Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Treiber für unsere Wirtschaft. Dies zeigte sich in der Krise”, erklärte Bullinger und verwies auf entsprechende Fraunhofer-Studien. Ein höheres Tempo bei der Nutzung grüner Technologien hätte demnach mehrere positive Effekte: Die Abhängigkeit Europas von Rohstoffimporten würde sinken, ebenso der Ausstoß von Kohlendioxid zum Wohle des Klimas. Gleichzeitig könnte Deutschland seine starke Stellung als Exportnation von innovativer Umwelt- und Energietechnik ausbauen. Schon heute dominieren deutsche Unternehmen den Markt für grüne Technologien, erklärte Bullinger:

So beträgt der Anteil deutscher Unternehmen am Weltmarkt für Energieerzeugungs¬technologien 30 Prozent, bei Technologien für Kreislaufwirtschaft, Abfall und Recycling sind es 25 Prozent wie eine Auswertung von Markstudien und Branchenanalysen durch Roland Berger ergeben hat. Wenn das hohe Innovationstempo beibehalten wird, könnten in den nächsten zehn Jahren zahlreiche zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, insbesondere in den Bereichen Energiegewinnung aus Sonne, Wind und Biomasse, Energieeffizienz in Industrie und Haushalten sowie Ausbau der Stromnetze. Bis 2020 rechnet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe mit bis zu 380.000 Beschäftigten im Greentech-Sektor, bei verstärkten Anstrengungen im Klimaschutz sind sogar 630.000 Arbeitsplätze möglich. Zudem würde das Bruttoinlandsprodukt um 70 beziehungsweise 81 Milliarden Euro steigen.

Für ihre Forderung nach einem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien haben die Fraunhofer-Experten prominente Unterstützung. Klaus Töpfer, ehemaliger Bundesumweltminister und einstiger Direktor des UNO-Umweltprogramms UNEP, hält das 100-Prozent-Ziel ebenfalls für realistisch: “Wir müssen alles daran setzen – etwa in der Entwicklung erneuerbarer Energien und durch die Erhöhung der Energieeffizienz –, diese Zukunft so schnell wie möglich zu erreichen”, so Töpfer, der heute das Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam leitet. Töpfer sieht im schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien “große Chancen für den Markt und die Menschen”. Dafür sollte die Bundesregierung allerdings ambitioniertere Ziele setzen. Die strebt bis 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch von 60 Prozent an. Doch schon mit Technologien, die bereits heute zur Verfügung stehen oder derzeit entwickelt werden, ließe sich eine weit höhere Quote erreichen.

Sonntag, 26. September 2010, von Elmar Leimgruber

Pressefreiheit bedeutet nicht journalistische Willkür

Elmar Leimgruber
Foto: © Leimgruber

Vorausgeschickt: Ja, die Pressefreiheit ist in Gefahr, und zwar nicht nur in irgendwelchen Entwicklungsländern, sondern auch in Europa und hier wie in Italien und in anderen Ländern auch in Deutschland und Österreich. Dies hat in erster Linie wirtschaftliche Gründe, denn rein durch Abonnement-Einnahmen können sich viele Medien nicht finanzieren, wodurch ein problematisches Spannungsfeld zwischen journalistischer Unabhängigkeit und wirtschaftlichen Zwängen entsteht.

Und dann gibt es in jedem Land auch noch so genannte staatsnahe Medien, die von der jeweiligen Regierung kontrolliert werden. So kam in Österreich unter der schwarz-blauen Regierung ein “schwarzer” Chefredakteur an die Spitze der “Wiener Zeitung” und wurde prompt von einem “roten” abgelöst, als der rote Faymann Bundeskanzler wurde. Und beim ORF ging es seit der letzten rot-schwarzen Regierung noch weit unverfrorener her:

In der schwarz-blauen-orangen Regierungszeit wurde nur versucht, ein gewisses politisches “Gleichgewicht” der einzelnen Parlaments-Parteien im ORF herzustellen, was jene Leute im ORF, die es gewohnt waren, politisch immer nur unter ihresgleichen zu sein, verstörte und die SOS ORF gegen die vermeintliche politische Vereinnahmung des ORF ins Leben rufen liess.

Was hingegen seit der Regierung des roten Kanzlers Faymann im ORF vor sich geht, hat mit Meinungsvielfalt und Demokratie nichts mehr gemeinsam: Nicht nur, dass er -wie berichtet- alle ihm -leider- per Gesetz zustehenden Publikumsräte ausschliesslich aus den Reihen seiner Partei der SPÖ rekruitierte, und damit das Sehervotum nicht nur ignorierte, sondern im Nachhinein zu seinem Vorteil manipulierte (und ich höre nach wie vor niemanden im ORF und kaum wen ausserhalb, der gegen eine solch haarsträubende politische Einflussnahme und Umfärbung auftritt), sondern alle wichtigen Umbesetzungen der Spitzenfunktionen der letzten Monate waren SPÖ-Sympatisanten. Gegen solche Vorgänge und Einmischungen müssten Journalisten und ihre Standesvertretungen protestieren, das passiert aber leider nicht. Es scheint fast, es herrscht chronische Blindheit auf dem einen Auge. Bezüglich ORF und Politik stehe ich übrigens nach wie vor (wenn ein politisch unabhängiger ORF schon nicht möglich und offenbar auch nicht erwünscht ist) für einen ORF, in dem alle Parlamentsparteien je nach ihrer Stärke vertreten sind.

Und dann gibts in Österreich noch die “Kronenzeitung”, die sich offenbar nicht zu schade dafür ist, nach den Treueschwüren der SPÖ-Spitze vor einiger Zeit dem Medium gegenüber, derlei aktiv Parteipropaganda für die SPÖ zu betreiben, dass deren Funktionäre schon gebeten wurden, der “Krone” passende Promotion-Artikel zukommen zu lassen.

Also nein: Es herrscht nicht wirklich Pressefreiheit, wenn reichweitenstärkste Medien eines Landes (ORF, “Krone”, “Österreich” und in letzter Zeit vermehrt auch “heute”) wohlwollende Hofberichterstattung für die SPÖ liefern (müssen). Und dies ist der eigentliche Skandal: dass das Medien- und Machtimperium in Österreich vor allem von einer einzigen Partei kontrolliert wird: der SPÖ.

Aber derzeit gegen die Wogen hoch im Zusammenhang mit zwei konkreten Rechts-Fällen, wo manche Journalisten ihre Befürchtung bestätigt sehen, dass die Pressefreiheit in Gefahr ist. Dabei handelt es sich hier um zwei grundunterschiedliche Ereignisse:

Im ersten Fall hatte vor einigen Tagen die Oberstaatsanwaltschaft Wien Journalisten der Nachrichtenmagazine “profil” und “News” im Rahmen einer Beschuldigteneinvernahme vernommen, weil diese aus dem Gerichtsdossier in der Causa “Hypo Alpe-Adria” berichtet hatten, was jedoch in Österreich nicht strafbar ist. Weil es hierbei aber um einen “Tatbestand” in Deutschland handelt, hatte die Staatsanwaltschaft München aber die Einvernahme der österreichischen Journalisten in Wien verlangt.

Bei allem Verständnis dafür, dass die Justiz -zu Recht- ein berechtigtes Problem mit eigenen “Maulwürfen” hat: Erstens ist das Zitieren aus Gerichtsakten in Österreich nicht strafbar und zweitens gilt das Redaktionsgeheimnis verbunden mit dem Schutz der jeweiligen Informanten. Es ist ist Aufgabe der Justiz, ihre “2undichten Stellen” selbst ausfindig zu machen und nicht Journalisten damit zu quälen. Geschieht es dennoch, handelt es sich auch für mich eindeutig um eine Gefährdung der Pressefreiheit.

Im zweiten Fall hatte bereits vor Monaten die “Am Schauplatz”-Redaktion des ORF eine Dokumentation über Skinheads vorbereitet und diese offenbar zu einer Veranstaltung von FPÖ-Chef Strache gebracht. Und hier stehen nun Aussage gegen Aussage: Strache behauptete, dass Redakteure die Skinheads zur Naziparolen anstifteten und erstattete Anzeige wegen “Wiederbetätigung”. Der ORF stellte sich schützend hinter seine Redakteure, die ihre Unschuld beteuerten. Die Staatsanwaltschaft forderte daraufhin sofort die Herausgabe des gefilmtes Materials. Erst viele Stunden später und erst am nächsten Tag übergab der ORF einen Teil des Filmmaterials. Der ORF verklagte daraufhin Strache.

Jetzt Monate später wurde mitgeteilt, dass laut einem Gutachter auf dem abgegebenen Filmmaterial keine Manipulationen erkennbar sind. Und wenige Tage später hob das Parlament die Immunität des FPÖ-Chefs auf, um ein Gerichtsverfahren gegen ihn eröfffnen zu können. Und in Folge wurde vom ORF durch Beschluss des OLG Wien auch die Herausgabe des restlichen Filmmaterials gefordert.

Der Aufstand des ORF und weiterer Medien war gross und man ortete einen schwerwiegenden Angriff gegen die Pressefreiheit und das Redaktionsgeheimnis.

Aber hier kann ich beim besten Willen nicht mit: Es überrascht und mich und erfüllt mich mit Sorge, dass ausgerechnet auch jene journalistischen Kollegen, die bei politischen Gegnern dauernd der Justiz Untätigkeit vorwerfen, wenn sie vermutliche “Skandale” über diese aufgedeckt haben, jetzt “Skandal” und “Rettet die Pressefreiheit” schreiben. Wäre ihr Gerechtigkeitssinn so ausgeprägt, wie sie ihn für sich selbst gern beanspruchen und einfordern, müssten sie auch in diesem konkreten Fall entschieden für die volle Aufklärung eintreten, schon ihrer eigenen Glaubwürdigkeit wegen:

Wenn mir als Journalist ein Politiker unverfroren vorwirft, ich manipuliere, dann lege ich mein Material sofort und vollständig und freiwillig vor Zeugen offen und überführe ihn der Verleumdung. Und das ist meines Erachtens in diesem Fall der einzig richtige Weg, wenn man “unschuldig” ist. Die “Am Schauplatz”-Redaktion und mit ihr der ORF haben sich hingegen für einen Weg entschieden, der Vertuschung vermuten lässt. Sich hier auf das Redaktionsgeheimnis und die Pressefreiheit zu berufen, klingt zumindest nach einer billigen Ausrede, weil man (zu Recht?) nicht zu dem stehen kann, was man als Journalist tut.

Und dass in diesem Fall auch noch durch Anzeige des ORF die Immunität eines Abgeordneten aufgehoben wurde, um ein gerichtliches Verfahren zu ermöglichen, kommt erschwerend dazu. Wie soll man ein Verfahren gegen wen führen können, wenn die Beweismittel nicht verwendet werden dürfen?

In diesem Fall bezüglich dieser so genannten “Skinhead-Affäre” halte ich den Schrei nach dem Schutz der Pressefreiheit nicht nur für eine Überreaktion, sondern für vollkommen unangebracht und unberechtigt. Hier sollen die Redakteure zu dem stehen, was sie produziert haben; das hätten sie sofort und ohne gerichtliches Urteil machen sollen, schon um ihre -sofern es diese gibt- Unschuld zu beweisen.

Ich bin hier für eine lückenlose und vollständige Aufklärung der Causa, und zwar ohne irgendwelche politischen oder sonstigen Rücksichten, weder auf Strache, noch auf die betreffende Redaktion.

Und obwohl ich in diesem Fall keinerlei Verletzung weder des Redaktionsgeheimnisses noch der Pressefreiheit feststellen kann, aber im zuerst genanntenFall sehr wohl und weil die Pressefreiheit ein unersetzbarer Wert für die demokratische Gesellschaft darstellt, nehme ich auch am einmaligen Krisen-Journalistentreff am Montag Abend teil, um mit besorgten Kolleginnen und Kollegen Massnahmen gegen die Aushöhlung der Pressefreiheit zu diskutieren.

Übrigens: es sollte zwar selbstverständlich sein, aber ich erinnere dennoch daran: Als Journalist tragen wir eine grosse Verantwortung: nicht nur nur dem Chefredakteur oder dem Verleger gegenüber, sondern vor allem uns selbst und den Menschen gegenüber, für die wir berichten, und natürlich auch jenen gegenüber, über die wir recherchieren. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein.

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Freitag, 17. September 2010, von Elmar Leimgruber

EU-Stadtbaustellen-Check: Brüssel am besten, Madrid am schlechtesten

Eine Baustelle in Brüssel ist europaweiter Testsieger, was Baustellen in der EU betrifft, der Verlierer wurde in Madrid ermittelt. Dies geht aus dem EuroTest (in Kooperation von 17 europäischen Autofahrerclubs wie dem deutschen ADAC oder dem schweizerischen TCS) von 57 Baustellen in 12 europäischen Städten hervor. Demnach steht je eine Baustelle in Berlin und eine in Barcelona an zweiter Stelle und eine in Luxenburg an vorletzter Stelle des Rankings, bei dem Beschilderung/Markierung, Verkehrsführung, Verkehrsfluss sowie Information gewertet wurden.

Insgesamte Stadtsieger sind Barcelona, gefolgt von Brüssel, Berlin, Wien, Amsterdam und München. Am Ende der Skala stehen hier hingegen Ljubljana, Rom, Luxemburg und Madrid. Im Bereich Verkehrsführung gewann München vor Wien, Barcellona und Zürich, bei der Markierung Wien (mit  Luxemburg, Madrid und Rom im Abseits) , beim Verkehrsfluss führt Amsterdam vor Brüssel, Barcellona und Ljubljana, im Bereich Information gewann Zürich, gefolgt von Wien, Berlin und München.

Gute bis sehr gute Informationen gibts in der Hauptstadt Berlin, in Sachen Verkehrsfluss sogar  Bestnoten für die Baustellen Invaliden- und Tauentzienstrasse sowie Karl-Marx-Allee, aber auch ein sehr Mangelhaft für die Wollankstrasse. Grund zur Kritik gab es hauptsächlich bei der teilweise abenteuerlichen Führung der Radfahrer und der manchmal dürftigen Beschilderung. In München wird eine sehr breite Streuung der Ergebnisse deutlich. Bei der Information gibts volle Punktzahl für die Baustelle am Luise-Kiesselbach-Platz, aber grosse Defizite und deshalb sehr mangelhaft der Georg-Brauchle-Ring. Umgekehrt bekam dieser Testkandidat ebenso wie die Schleissheimer Strasse ein sehr Gut beim Verkehrsfluss, der Luise-Kiesselbach-Platz dagegen nur ein Mangelhaft.

Die Baustelle Südtiroler Platz, Hauptbahnhof Wien
Foto: © Leimgruber

Wien liegt auf der Sonnenseite des Testfelds mit vier Gut und zwei Ausreichend. Sehr gutes Ergebnis für die Informationen, grosse Bandbreite beim Verkehrsfluss: Volle Punktzahl für die Baustellen am Handelskai und in der Breitenfurter Strasse/ Teil 2, aber auch ein Mangelhaft für die Friedensbrücke. Bei der Beschilderung und Markierung  ebenfalls nur positive Wertungen mit Ausnahme der Grossbaustelle Hauptbahnhof Südtiroler Platz, bei dem die Markierung einer Fahrspur zum  Testzeitpunkt direkt in eine Betonleitwand führte.

Zürich darf sich über drei gute und zwei ausreichende Bewertungen freuen: Lob für die hervorragenden Ergebnisse bei den Informationen: Alle fünf getesteten Baustellen heimsten für ihre auffallend detaillierten Angaben ein glattes sehr Gut ein. Damit liegt Zürich deutlich vor allen Mitbewerbern hier an erster Stelle. Licht und Schatten beim Verkehrsfluss: Birmensdorferstrasse und Hardbrücke mit der Note sehr gut, aber auch Schaffhauser- und Pfingstweidstrasse mit einem Mangelhaft.

Überraschend: Hartnäckige Staus wurden im aktuellen Test relativ selten festgestellt. Bei mehr als der Hälfte der Testobjekte war die Beeinträchtigung für den Verkehrsfluss relativ gering. Probleme registrierten die Tester aber bei der Verkehrsführung: zu viele Gefahrenstellen für Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger sowie unsichere Zu- und Abfahrten für Baufahrzeuge. Am schlechtesten fielen die Ergebnisse beim Thema Beschilderung und Markierung aus:Gut ein Drittel der Baustellen fiel hier glatt durch. Die Siegerbaustelle in Brüssel zeichnete sich unter anderem durch eine sehr auffällige Ankündigung und exzellente Verkehrsführung aus. Beim Verlierer in Madrid gehörten Staus und Chaos hingegen zum Alltag. Besonders negativ: die gleichzeitige Verringerung und Verschwenkung von Fahrspuren ohne jede Markierung.

Samstag, 11. September 2010, von Elmar Leimgruber

Deutsche Kanzlerin plädiert für Selbstbewusstsein, Toleranz, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit

Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel zeichnet den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard aus
Foto: REGIERUNGonline/Hanschke

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat anlässlich der Verleihung des Medienpreises “M 100 Sanssouci Colloquium”an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard die Bedeutung von Presse- und Meinungsfreiheit hervorgehoben. Dieser muss für seine Mohammed-Karikaturen seit 2005 um sein Leben bangen. “Europa ist ein Ort, in dem ein Zeichner so etwas zeichnen darf. Das ist im Übrigen kein Widerspruch dazu, dass Europa auch ein Ort ist, in dem die Freiheit des Glaubens und der Religion sowie der Respekt vor Glaube und Religion ein hohes Gut sind”, sagte Merkel. “Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.” Dieser Satz von Perikles sei heute noch genauso aktuell wie im 5. Jahrhundert vor Christus. “Freiheit zu leben, erfordert Mut, und zwar jeden Tag aufs Neue, im Kleinen wie im Großen,” betonte die deutsche Kanzlerin.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat sich indes gegen die laut gewordene Kritik von Moslem-Organisationen an der Ehrung des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard gewandt. “Satire und Karikatur sind ironische Stilmittel der Pressefreiheit“, stellte der DJV-Vorsitzende Michael Konken klar: “Sie zu akzeptieren, selbst wenn man sich angegriffen fühlt, ist demokratisches Prinzip.“

redakteur.cc dokumentiert in Ausschnitten die beeindruckende und bedenkenswerte Jahrhundertrede von Angela Merkel zur Verleihung des Medienpreises am 8. September 2010 in Potsdam:

Die Wirkung der präzisen Frage zum richtigen Zeitpunkt, die Freiheit, sie stellen zu können, und vor allem die Freiheit, über die Antwort zu berichten, und zwar ungekürzt, unverändert, unverzüglich – welch hohes Gut. Niemals dürfen wir dieses hohe Gut als selbstverständlich ansehen – auch bei Themen nicht, die nicht sofort die Welt verändern, sondern Fragen des Alltags berühren…

Reden wir also Klartext… Aussagen, zum Beispiel von mir, münden in eine Debatte, eine breite Debatte um Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Er lautet: “Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.” – So weit Artikel 5. Er ist es wert, gerade bei einer solchen Tagung zum Thema “Freiheit und Pressefreiheit” in Gänze vorgetragen zu werden. Er ist das auch wert, weil er neben Artikel 1 zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen, Artikel 2 zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, Artikel 3 zur Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und Artikel 4 zur Freiheit des Glaubens für mich zu den größten Schätzen unserer Gesellschaft gehört…

Das Thema Sarrazin ist aber gerade kein Thema der Gefährdung der Meinungsfreiheit, sondern es geht darum, ob und gegebenenfalls welche Folgen zum Beispiel ein Buch für einen Autor in einer besonders wichtigen öffentlich-rechtlichen Institution haben kann oder nicht…

Der heutige Tag kann uns für unser Thema “Pressefreiheit in Europa” – da bin ich mir sicher – Orientierung geben. Bei dem Mann, den Sie heute auszeichnen, dem dänischen Zeichner und Karikaturisten Kurt Westergaard, geht es um die Meinungs- und Pressefreiheit. Bei ihm geht es darum, ob er in einer westlichen Gesellschaft mit ihren Werten seine Mohammed-Karikaturen in einer Zeitung veröffentlichen darf, ja oder nein; egal, ob wir seine Karikaturen geschmackvoll finden oder nicht, ob wir sie für nötig und hilfreich halten oder eben nicht. Darf er das? Ja, er darf. Er ist ein Zeichner, wie es in Europa viele gibt. Europa ist ein Ort, in dem ein Zeichner so etwas zeichnen darf. Das ist im Übrigen kein Widerspruch dazu, dass Europa auch ein Ort ist, in dem die Freiheit des Glaubens und der Religion sowie der Respekt vor Glaube und Religion ein hohes Gut sind. Wenn ein fundamentalistischer evangelikaler Pastor in Amerika am 11. September den Koran verbrennen will, so finde ich das deshalb – kurz gesagt – schlicht respektlos, sogar abstoßend und einfach falsch.

In der Diskussion um die Veröffentlichung der so genannten Mohammed-Karikaturen geht es also genau darum, ob wir in Europa mit unseren Werten – Sie haben die von mir genannten ersten fünf Artikel unseres Grundgesetzes sicher noch im Ohr – aus Angst vor Gewalt und Massendemonstrationen davon absehen, die Zeichnungen dieses Karikaturisten zu veröffentlichen oder nicht, ob sie auch in anderen Zeitungen nachgedruckt werden oder nicht und, wenn nein, warum nicht.

Denen, die das seinerzeit aus welchen Gründen auch immer nicht gemacht haben, werfe ich nichts vor. Jeden Tag stehen Sie bei Ihrer Berichterstattung vor Abwägungsfragen; sie gehören zur Verantwortung der Medien in Ausübung ihrer Pressefreiheit ganz selbstverständlich dazu. Ich kenne solche Abwägungsfragen auch selbst: Soll die deutsche Bundeskanzlerin die Hauptrede anlässlich dieser Veranstaltung halten? Soll sie den Dalai Lama empfangen? Soll sie Briefe, die sie zum Beispiel von “Reporter ohne Grenzen” bekommt, ernst nehmen und den neuen ukrainischen Präsidenten bei seinem ersten Besuch in Berlin auf die Einschränkungen der Pressefreiheit in seinem Land ansprechen oder damit besser bis zur zweiten Begegnung warten?

Wie also verhält es sich mit den Werten und den Interessen, den politischen wie wirtschaftlichen, die für unser Land wichtig sind – für Sie wie für mich? Ich habe für mich die genannten drei Fragen drei Mal mit Ja beantwortet, und zwar aus einem einzigen Grund, der mich seit Beginn meiner politischen Arbeit leitet: Deutsche Politik vertritt ihre Interessen wertegebunden – nach innen wie nach außen. Werte und Interessen gehören zusammen. Wer einen Gegensatz aufmacht, hat sich bereits aufs Glatteis führen lassen…

Ja, geben wir den Menschen eine Stimme – in politischen Parteien genauso wie in den Medien. Aber überzeugen wir sie gleichzeitig, dass es in unserem Land am wenigsten darum geht, was gesagt werden darf. Richtige Entscheidungen, Taten statt Worte – das hingegen führt zum Kern dessen, was notwendig ist, zum Beispiel damit Integration gelingt und nicht scheitert, damit Parallelgesellschaften verhindert und nicht auch noch gefördert werden, damit jugendliche Gewalt eingedämmt und nicht hingenommen wird, damit der Sozialstaat denen hilft, die ihn brauchen, und nicht denen, die ihn missbrauchen, und vieles mehr…

Erstens: Freiheit ist nicht bindungslos. Das gilt für unser persönliches Leben, das gilt in der Politik, das gilt für die Verantwortung der Medien, das gilt für uns alle. Freiheit ist stets und für alle mit Verantwortung verbunden. Freiheit steht nie nur für sich. Sie ist eine Medaille mit zwei Seiten: Auf der einen Seite steht die Freiheit von etwas, auf der anderen Seite die Freiheit zu etwas. Wenn wir also von Freiheit sprechen, dann sprechen wir tatsächlich immer auch von der Freiheit des anderen. Was uns in Deutschland wie Europa auszeichnet, das ist der Umgang mit unserer Vielfalt, unserer Freiheit und der Freiheit der anderen. Wir Deutsche und Europäer haben in unserer Geschichte gelernt, aus der Vielfalt das Meiste zu machen. Die Eigenschaft, die uns dazu befähigt, ist die Toleranz.

Zweitens: Die Toleranz ist eine anspruchsvolle Tugend. Sie braucht das Herz und den Verstand. Aber sie ist nicht mit Standpunktlosigkeit und Beliebigkeit zu verwechseln. Sie hat niemals das geringste Verständnis für Intoleranz, für Gewalt von Links- und Rechtsextremismus oder für Gewalt im Namen einer Religion. Die Toleranz ist ihr eigener Totengräber, wenn sie sich nicht vor Intoleranz schützt. Religionsfreiheit meint eben nicht, dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz steht. Toleranz meint nicht Wegsehen oder das Messen mit zweierlei Maß. Und Respekt bedeutet nicht Unterwerfung.

Drittens: Freiheit in Verantwortung – das gilt auch für die Wirtschaft. Eine auf Freiheit beruhende Soziale Marktwirtschaft bietet die Spielräume, damit Menschen verantwortlich handeln können. Die Lektion, die uns die Finanz- und Wirtschaftskrise schmerzhaft erteilt hat, muss überall ankommen. Seit Ludwig Erhard gilt, dass der Staat der Hüter der Ordnung unserer Sozialen Marktwirtschaft ist.

Viertens: “Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.” Dieser Satz von Perikles ist heute noch genauso aktuell wie im 5. Jahrhundert vor Christus. Freiheit zu leben, erfordert Mut, und zwar jeden Tag aufs Neue, im Kleinen wie im Großen – wenn ein Jugendlicher nicht mehr mitmacht beim Mobbing eines Klassenkameraden und den Ausschluss aus der Gruppe riskiert, wenn ein Manager nicht mehr mitmacht bei unlauteren Unternehmenspraktiken und dafür seine Karriere riskiert, wenn man in einer Diktatur versucht, jeden Tag in den Spiegel schauen zu können… Ja, so ist es: Mut fängt mit der Überwindung der eigenen Verzagtheit an…


Fünftens: Die Freiheit wird durch die schier unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Revolution geradezu herausgefordert. Auch ich bin fasziniert von den Möglichkeiten des World Wide Web. Trotzdem werden Sie keine Fotos von meiner letzten Geburtstagsfeier im Internet finden – zumindest keine, die ich selbst eingestellt hätte. Im Ernst: Es macht mir Sorgen, wie leichtfertig Menschen ihre Privatsphäre, den Hort individueller Freiheit, aufgeben und im Internet sensible persönliche Daten preisgeben. Gänzlich unverständlich ist mir das, wenn man bedenkt, wie erbittert wir in Deutschland über die Videoüberwachung öffentlicher Plätze oder eine Volkszählung streiten können. Politik und Medien müssen hier weiter Aufklärungs- und – ja, ich sage – Bildungsarbeit leisten, um in diesem Bereich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Freiheit zu kommen.

Sechstens: Auch unsere Außenpolitik ist wertegebunden. Ich sehe mit Sorge, dass Diktaturen und autokratische Staaten den Freiheits- und Toleranzbegriff missbrauchen. Denken wir zum Beispiel an die dritte Konferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus im Jahre 2001. Diese Anti-Rassismus-Konferenz und ihre Nachfolgetreffen wurden leider von Abgesandten aus Diktaturen und autoritär regierten Ländern bestimmt, die den Gedanken dieser Konferenzen in ihr Gegenteil verkehrt haben.

In Zusammenhängen wie diesen wird oft gefragt: Ist es nicht eine kulturelle, westliche, europäische, christliche Anmaßung, dass wir unsere Werte und Freiheitsrechte für universal gültig halten? Meine Antwort ist eindeutig: Nein, es ist keine Anmaßung. Fast alle Staaten sind Mitglieder der Vereinten Nationen und haben die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte anerkannt. Die großartigen 30 Artikel der Menschenrechtserklärung machen deutlich: Wer diese Rechte bestreitet, hat nicht das Wohl der Menschen im Blick. Kein kultureller Unterschied kann die Missachtung dieser Rechte rechtfertigen.

Ich bin im Übrigen überzeugt: Wenn wir selbstbewusst zu unseren Werten stehen, verschafft uns das weltweit mehr Respekt und Anerkennung, als wenn wir es nur verschämt tun.

Meine Damen und Herren, Freiheit – ich habe es schon oft gesagt – ist für mich persönlich die glücklichste Erfahrung meines Lebens. Auch bald 21 Jahre nach dem überwältigenden Geschenk der Freiheit mit dem Fall der Mauer und 20 Jahre nach der Vollendung der Einheit Deutschlands gibt es noch immer nichts, das mich mehr begeistert, nichts, das mich mehr anspornt, nichts, das mich stärker mit positiven Gefühlen erfüllt als die Kraft der Freiheit.