Mit ‘Adressenhandel’ getaggte Artikel

Mittwoch, 3. Februar 2010, von Elmar Leimgruber

Merkel und Schäuble handeln mutig, wenn auch moralisch zweifelhaft

Darf der Staat gestohlene Steuersünder-Daten kaufen?

Es wäre Unrecht, wollte man Unrecht dadurch besiegen, dass man ein weiteres Unrecht begeht: Unrecht bleibt immer Unrecht.

Und dennoch geht es manchmal wohl nicht anders, zumindest dann, wenn keinesfalls Menschenleben gefährdet sind.

Da ist das eine Unrecht: Es gibt europaweit und darüberhinaus vielleicht wohl einige sehr wohlhabende Menschen, die nicht nur weit überdurchschnittlich verdienen, sondern ihren reichlichen Überschuss zudem an der Steuer vorbei auf Schweizer Banken transferieren.

Da ist das zweite Unrecht: Während sogenannte Transparenzgesetze die Staaten der Europäischen Union (so auch Österreich) dazu zwingen, bei der Aufklärung von internationalem Steuerbetrug auch durch Bankdaten mitzuhelfen, bleibt die Schweiz diesbezüglich eine Oase für Steuerhinterzieher im grossem Stil, was mitten in Europa ein schweres Unrecht darstellt, zumal die Schweizer Banken und Behörden hier nicht zur Aufklärung beitragen wollen. Und als Nicht-EU-Land kann man die Schweiz wohl vermutlich auch nicht zur Mithilfe verpflichten.

Und das ist das dritte Unrecht: Irgendwer hat brisante Daten von mutmasslichen 1500 deutschen Steuersündern aus einer Schweizer Bank entwendet und bietet diese nun in Form einer CD der deutschen Regierung um 2,5 Mio. Euro zum Kauf an. Schon eine erste Stichprobe, so heisst es, würde dem Staat mehrere Mio. Euro an Steuern bringen, der Kauf würde sich also auch finanziell lohnen.

Die deutsche Regierung, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU), hat nun eine sicher zweifelhafte, aber in jedem Fall eine mutige Entscheidung getroffen: nämlich ohne politische Rücksicht auch auf das eigene Wählerklientel jene Wirtschaftstreibenden aufzuspüren und rechtlich verfolgen zu wollen, die in grossem Stil und über Jahre hindurch in Deutschland Steuern hinterzogen haben: Ja, das ist mutig. Genauso wie Merkels Vorstoss, Spitzenmanager-Gehälter gesetzlich nach oben hin zu begrenzen.

Aber es ist in der Tat auch eine ethische Frage: ist es moralisch gerechtfertigt, eine CD mit gestohlenem Material zu kaufen und zu verwerten, um Steuersünder ausfindig zu machen?

Zunächst mal: grundsätzlich nein.

Aber: vorausgesetzt, die Schweiz wäre auch unter internationalem Druck weiterhin nicht bereit, den deutschen Steuerbehörden bei der Aufklärung von schwerwiegender Steuerhinterziehung behilflich zu sein: Diese CD könnte ein erster Schritt sein, der Schweiz zu beweisen, dass Aufklärung auch ohne Hilfe funktioniert.

Eines ist jedoch sicher: Die Schweiz muss hier umdenken und darf nicht zum Handlanger von Kriminellen werden.

Andererseits: Dieses unmoralische Angebot könnte Schule machen. Und dann ist die Frage: wo zieht man den Schluss-Strich? Und ab wann bezahlt man dann nicht mehr für kriminelle Handlungen? Bankdaten zu stehlen ist in der Tat ja eine kriminelle Handlung, die auch geahndet (und keinesfalls bezahlt) werden müsste.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts für das Hamburger Magazin “stern” sind übrigens 57 Prozent der Deutschen dafür, dass der Fiskus die Bankdaten von bis zu 1500 Deutschen kauft, auch wenn diese illegal beschafft worden sind. 43 Prozent lehnen den Handel ab. Zum Kauf der Daten raten vor allem die Anhänger der Opposition: 71 Prozent der Anhänger der Linken wollen dies. 68 Prozent sind es bei der SPD und 63 Prozent bei den Grünen. Deutlich zurückhaltender sind die Wähler von Union und FDP, doch auch hier ist eine Mehrheit von je 54 Prozent dafür.

Und noch kurz zu einem weiteren Thema, das in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht: Datenschutz ist grundsätzlich ein unschätzbar hohes Gut, das man nicht leichtfertig gefährden sollte. Und der Datenschutz gehört auch gesetzlich verankert: Im Prinzip geht es niemanden, auch den Staat nichts an, wer seiner Bürger wo wie viel Geld hat. Und wenn wir schon bei diesem Thema sind: es müsste ein international gültiges Gesetz her, das die Weitergabe und den Handel mit Adressen (ohne ausdrückliche Genehmigung aller) streng verbietet.

Aber wo Kriminalität beginnt, hört der Datenschutz auf. Und wenn die Fahnder schon die Adresse eines Täters haben dürfen (womit auch Datenschützer kein Problem haben dürften), wieso sollen sie dann nicht auch anhand von Bankdaten überprüfen und belegen können, dass er kriminell ist?

Alles in allem ist dies alles hier aber ein äusserst komplexes Thema, zu dem ich nur Denkanstösse bieten, aber keine eindeutige Antwort geben will: Ich lade Sie ein, sich Ihre eigene Meinung zu diesem Thema zu bilden und mir auch zu schreiben.