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Sonntag, 9. Oktober 2011, von Elmar Leimgruber

Ärzte-Chef warnt vor “Körperfremdheit” und “schicken Krankheiten”

Ärztechef Walter Dorner
Foto: Ärztekammer Wien/Bernhard Noll

Erfolg mit Schönheit gleichzusetzen und umgekehrt ist gefährlich, betonte Walter Dorner, der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) anlässlich einer Tagung in Wien: Es gebe eine starke Entfremdung vom eigenen Körper, wenn Schönheit und Erfolg gleichgesetzt würden. Eine Gefahr sieht der ÖAK-Präsident auch in einer Entwicklung, in der der Nutzen von Heilung weniger in der Beseitigung persönlichen Leids bemessen wird als im wirtschaftlichen Gewinn des Gesundheitssystems liegt. Das diesjährige Symposium der ÖAK und dem Europäischen Forum Alpbach in Wien stand unter dem Motto “Medizin und Ethik”.

Genau so wie Narziss der Faszination seines eigenen Spiegelbildes erlegen war, sei uns auch unser eigener Körper offenbar so fremd geworden, dass wir ihn ohne künstliche Eingriffe und Hilfsmittel nicht mehr wahrnehmen, erklärte Dorner: Für Schönheit, sprich: Erfolg, werde die eigene Gesundheit immer bedenkenloser geopfert. Einer “kultischen Handlung” käme es gleich, wenn Männer im Fitnessstudio stundenlang am Laufband rennen und dabei die Börsenkurse auf CNN verfolgen. “Ein deutliches Alarmzeichen” sieht Dorner auch darin, “dass sich 18-jährige Mädchen zur Matura nicht mehr den Führerschein wünschen, sondern eine Brustvergrößerung”.

Ein anderes Extrem nannte der ÖÄK-Präsident, dass sich immer mehr Menschen über eine Krankheit definierten. Es sei inzwischen oft sogar “schick, an irgendetwas zu leiden – am besten, ohne berufliche Beeinträchtigung”. Dorner ermutigte die Mediziner, ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft noch stärker wahrzunehmen und forderte sie auf, ihr eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen: “Warum verschönert ein Schönheitschirurg, warum verschreibt ein Arzt Dopingmittel – wissend, dass er damit eventuell einen Menschen ins Unglück stoßen kann?”

Mit der Frage, wie man Krankheit definieren könne, beschäftigte sich Michael Musalek, Institutsvorstand und ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien. Krankheit sei Teil des Lebens, allerdings müsse man unterscheiden zwischen “eine Krankheit haben” und “krank sein”. In seinem Schlussreferat kam ÖÄK-Präsident Dorner auf die schwierige Definition von Krankheit zurück und betonte: “Wohl kann sich auch befinden, wer an objektiven Kriterien gemessen krank ist. Andererseits kann sich krank fühlen, wer nach gängiger Auffassung gesund ist.” Gesundheit und Krankheit seien immer in Wechselwirkung zum Umfeld eines Menschen und daher dynamisch zu verstehen, so Dorner.

Die Wiener Fachärztin für Plastische und Wiederherstellungschirurgie Hildegunde Piza warf ein, dass die persönliche Freiheit jedes Einzelnen zu respektieren sei. Es sei eine Tatsache, dass sich neben der kurativen Medizin eine “Wunschmedizin” entwickle, dazu gehöre die Schönheitschirurgie. Ärzte dürften aber nicht zu reinen
Dienstleistern gemacht werden, forderte Piza.

“Es gibt Krankheiten, die hat man ein Leben lang – aber man ist deswegen nicht permanent krank” erlärte Musalek: Krankheit bedeute den Verlust der Funktionstüchtigkeit, in manchen Fällen aber auch Stigmatisierung. So litten psychisch Kranke mehr an der Bedeutung der Krankheit als an der Krankheit selbst, führte der Experte aus: “Die sozialen Konsequenzen einer Krankheit dürfen nicht unterschätzt werden.” Eine Krankheit als Lebensstil zu bezeichnen, ging Musalek zu weit: “Das Wort Lebensstil impliziert, dass etwas selbst gewählt wurde. Viele suchen sich ihre Krankheiten aber nicht aus”, betonte Musalek.

Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht an der Medizinuniversität Wien, betonte: Wenn Gesundheit und Medizin auf eine kultisch-religiöse Ebene gehoben würden, werde Krankheit zum Lebensstil. Gesellschaftlicher Druck erzeuge im Hinblick auf gesunde Lebensführung immer öfter Schuldgefühle. Medizin solle zu einem Mehr an Freiheit verhelfen, die Patienten würden aber oft einem rigorosen “Diagnoseregime” unterworfen. Ähnlich äußerte sich der Allgemeinmediziner und Autor Günther Loewit. Mit der provokanten
Aussage “Ärzte produzieren Krankheit” forderte er Mediziner auf, den Patienten keine Schuldgefühle einzuimpfen.