Mit ‘Wirklichkeit’ getaggte Artikel

Sonntag, 6. Oktober 2013, von Elmar Leimgruber

Er kam, sah und mordete – Musical-Kritik: Sweeney Todd

Was macht einen Menschen zum Amokläufer, zum Massenmörder? Enttäuschung, Verzweiflung, Rache für Erlittenes, Perspektivenlosigkeit? (Siehe dazu auch meine Gedanken zum “Monster Mensch” von vor einigen Jahren) “Treiben” ihn andere regelrecht zu diesen Taten? Oder trägt jeder Mensch doch letztlich persönlich und ganz allein die Verantwortung für das, was er in seinem Leben vollbringt oder auch nicht?

Bedingt vor allem durch zahlreiche manipulative herzerreißende (vor allem US-)TV-Serien, die uns alltäglich einen Schein der Wirklichkeit zu vermitteln trachten, fühlen wir zuweilen Solidarität mit Mördern: Wenn ihnen so viel Böses durch andere widerfahren ist, können wir teils nachvollziehen, warum sie sich wehren und rächen, auch wenn sie dadurch zu Verbrechern werden. Und die Gefahr besteht, sich vielmehr mit den Tätern zu solidarisieren als mit den Opfern.

Wie könnte ein Mensch es je verkraften, wenn ein selbstsüchtiger Richter ihn erurtailt und verbannt, nur um dessen Frau zusammen zu sein. Und wie unerträglicher wäre es noch,wenn derselbe Richter dann auch noch deren Tochter ehelichen will, weil er sich in Verlangen nach ihr verzehrt? Würde man sich mit jenem Mann nicht solidarisieren, der Rache schwor an jenem Richter, der ihm zuerst die Frau, dann seine Tochter nahm?

Die Story ist zwar nicht neu, diese konkret stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und spielt in London:
Einem Barbier wird wie erläutert die Frau durch einen skupellosen Richter entrissen, er selbst unschuldig verurteilt und verbannt. Jahre später flieht er und kehrt incognito nach London zurück und sinnt auf Rache. In einer zweifelhaften Pastetenbäckerin, welche ihn immer schon liebte und nun wiedererkennt, findet er eine treue Rachebegleiterin. Sie erzählt ihm, dass seine Frau sich selbst getötet hat. Und von einem Matrosen, der mit ihm nach London gekommen war, erfährt der Barbier, dass der verruchte Richter nun auch seine Tochter ehelichen will. Der Matrose indes will sie aus den Fängen des Böses retten und plant sie zu entführen, weil er sie liebt. Der Richter, dem seine Ziehtochter (und des Barbiers Tochters) die Liebe verweigert, lässt sie zur Strafe ins Irrenhaus bringen. Der Barbier beschließt, nur den Richter mit seinem Rasiermasser zu töten.

Doch als ein früherer Mitarbeiter des Barbier seinen Meister wiedererkennt und ihn zu erpressen versucht, begeht der Barbier seinen ersten Mord. Aus Schmerz und Rache an der ungerechten Welt folgen viele weitere Morde, während die Pastetenbäckerin die Leichen zerstückelt und als Fleisch-Pasteten verarbeitet und äußerst erfolgreich verkauft. Während der erste Versuch, den Richter am Barbierstuhl zu töten misslingt, gelingt der spätere Mord und die Rache ist vollbracht. Eine Bettlerin in der Nähe ahnt Böses und glaubt, den Barbier ebenfalls wiederzuerkenen. Auch sie tötet der Barbier und bermerkt erst später, dass dies seine totgeglaubte Frau ist. Und damit war für den Barbier im Grunde alles, ja gar alles umsonst…

Stephen Sondheim adaptierte diese Story für sein Musical (Buch: Hugh Wheeler) “Sweeney Todd” (das übrigens vor einigen Jahren durch Tim Burton mit Johnny Depp und Helena Bonham Carter erfolgreich verfilmt wurde). Und die Wiener Volksoper, die nicht nur als Operettenbühne einen hervorragenden Ruf hat, sondern sich in den vergangenen Jahren auch in zweigenössischen Werken erfolgreich bewiesen hat (unter anderem durch das Musical “Die spinnen, die Römer”, ebenfalls aus der Feder von Sondheim), hat das blutrünstige Stück in dieser Saison neu am Programm.

Ich bin nicht davon überzeugt, dass das großteils doch eher traditionelle Publikum seine helle Freude an einem solch skandalösen Stück mit Rachegelüsten hat. Und doch: warum sollte man nicht ausgerechnet ein klassisch verwöhntes Publikum mit solchen Stücken schockieren oder besser wachrütteln, aufrütteln zum Hinterfragen? Es muss nicht sein, wie’s immer war. Im Gegenteil.

Die Volksopern-Inszenierung von Matthias Davids ist aufwendig und stimmig: es passt einfach einfach alles. Und diese Produktion könnte man problemlos 1:1 beispielsweise am Londoner West End genauso zeigen wie hier in Wien. Und es ist mutig und gleichzeitig lobenswert, dass “Sweeney Todd” an der Wiener Volksoper zur Gänze in deutscher Sprache (deutsche recht witzige Fassung: Wilfried Steiner) aufgeführt wird.

Und auch die Besetzung könnte besser nicht sein: Robert Meyer, der Volkopern-Intendant höchstpersönlich spielt und interpretiert “nur über meine Leiche” (Meyers erste Reaktion auf den Vorschlag, dieses Stück in den Volksopern-Spielplan aufzunehmen) den für seine bösen Taten zu ermordenen korrupten Richter Turpin authentisch. Morten Frank Larsen ist sowohl stimmlich als auch schauspielerisch die Idealbesetzung für den frustrierten und am Leben verzweifelnden Sweeney Todd wie auch Tom Schimon als Tobias Ragg, Anita Götz als Joanna und Vincent Schirrmacher als Pirelli ideal besetzt sind. Sensationell in jeder Hinsicht und damit unübertroffen hingegen interpretiert Dagmar Hellberg (erstaunlich wie wenige CDs und DVDs es mit diesem Ausnahmetalent gibt)  Mrs Lovett. Ein großes Kompliment gebührt an dieser Stelle übrigens auch dem an diesem Abend hervorragenden Orchester der Volksoper unter der Leitung von Joseph R. Olefirowicz.

Zugegeben: “Sweeney Todd” ist skuril und blutrünstig (6 Liter Kunstblut werden pro Vorstellung vergossen), aber künstlerisch ist diese Aufführung in der Wiener Volksoper hervorragend und der Besuch sehr zu empfehlen: Und auch wenn dies nicht jedem passt: Kunst und Kultur müssen provozieren: politisch wie gesellschaftlich. Aber was wir tatsächlich inhaltlich aus der Vorstellung lernen -falls wir das sollen- bleibt uns selbst überlassen.

Donnerstag, 29. November 2012, von Elmar Leimgruber

Kardinal Schönborn ortet “Zwist-Fixiertheit” der Medien

 

Medienkritik übt der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn in neuem Public-Value-Bericht “Mehr-Wert” des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ): “Jedes Ringen wird zu einem Kampf stilisiert, bei dem am Ende Sieg und Niederlage bleiben”. Zeitungen und Magazine hätten dank des “besonderen Gewichts” des gedruckten Wortes auch eine besondere Verantwortung für die Information und Meinungsbildung in einer Demokratie, schreibt der Wiener Erzbischof:

“Der Trend zur Fixierung auf Zwist und Kampf” hingegen sei eine “bedenkliche Entwicklung” in  der massenmedialen Berichterstattung. Nicht nur die innerkirchliche Diskussion werde derzeit fast nur anhand von Leitfragen wie “Wer teilt aus, wer steckt ein, wer gewinnt, wer unterliegt?” eindimensional abgehandelt, kritisiert Kardinal Schönborn. “Die darunterliegenden Sachfragen werden kaum noch berührt.” Das verderbe die Lust am Lesen.

 

Dieses “Phänomen der medialen Dramatisierung” zeigt sich nach der Beobachtung Schönborns nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich: “Eheprobleme” würden gleich zu “Rosenkriegen”, wer den Vorschlag einer anderen Partei nicht aufgreift, erteile ihr “eine Ohrfeige”, wenn Politiker widersprächen, “attackieren” sie, nannte
der Kardinal einige Beispiele. Er wünsche sich daher “eine vertiefte Reflexion der Medienschaffenden über die Frage” an: “Worauf richten wir eigentlich den Blick der Menschen? Zeichnen wir wirklich das Bild der Wirklichkeit?”

Diese Nachdenklichkeit würde auch dem wirtschaftlichen Überleben des jeweiligen Mediums dienen, meinte Schönborn. “Denn wie wir aus der Sozialforschung wissen, sind Zwietracht und Kampf höchstens im Kino ein Quotenbringer. Da, wo es um die wirkliche Welt geht, zerstören sie. Auch die Lust am Lesen.”