Mit ‘Grundrechte’ getaggte Artikel

Donnerstag, 7. Mai 2020, von Elmar Leimgruber

Analyse: Die Corona der Schöpfung

Die Einkaufszentren laden ein, Geschäfte, Parks, Schulen öffnen, gar manche Sportvereine sind wieder aktiv und Wirtshäuser, Bierlokale und Hotels warten bereits auf den Startschuss: Die Dolce Vita kann beginnen: Wir haben Corona überstanden und besiegt.

Falsch!Ich bin absolut kein Unglücksprophet. Aber: Ein Großteil unserer Bevölkerung hatte erwiesenermaßen bislang noch keinerlei Kontakt mit dem Corona-Virus: Gott sei Dank. Alle maßgeblichen Experten rechnen daher mit zunehmender Wiedereröffnung des öffentlichen Lebens mit einer wahrscheinlichen noch härteren zweiten Erkrankungswelle: sie warnen uns vor Verharmlosung und Leichtsinnigkeit und mahnen uns sowie die politischen Verantwortlichen, darauf vorbereitet zu sein.

Natürlich hat uns alle der öffentliche ShutDown zutiefst getroffen: er hat Angst, Unsicherheit und teils sogar Panik ausgelöst. Wir sind freie Menschen und wir lieben unsere Demokratie und wir lieben unsere Freiheit. Und das ist gut so und es ist essentiell und existentiell: Dies sollten wir auch nie vergessen.

Über Wochen hindurch Grundrechts-, darunter Ausgangsbeschränkungen zu erleiden, -unsere Wohnung nur für die notwendigsten Erledigungen verlassen zu dürfen und weder haushaltsfremde Angehörige noch Freunde besuchen zu dürfen- ist wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel treffend formulierte, „eine demokratische Zumutung“, die man selbstverständlich hinterfragen kann und auch soll, jedoch mit Intelligenz, Liebe, Weitsicht und Weisheit:

Wir sehen inzwischen, dass jene Länder, welche rasch und effizient auf das sich rasch verbreitende Virus reagiert haben, nur wenige Tote zu beklagen haben und sich auch die Infiziertenzahlen in Grenzen halten. Dies betrifft unter anderem Griechenland, Tschechien, Ungarn und Österreich. Jene Länder hingegen, welche zunächst noch glaubten, dass eine schnelle „Herdenimmunität“ den Covid19-Virus ausrotten würde, mussten sehr rasch erkennen, dass dies nicht nur immens viele Erkrankte, sondern eine rasant steigende Zahl von Toten bedeutet. Negativbeispiele hierfür sind unter anderem die USA und Großbritannien: Der britische Premier Boris Johnson dachte erst um, als nicht nur sein Gesundheitsminister, Prinz Charles, Robbie Williams und er selbst am Corona-Virus erkrankte und gar auf die Intensivstation musste.

Und ja: Die aktuellen Infizierten-Zahlen in Österreich sind (mit Ausnahme von Wien) weitgehend beruhigend. Aber dies liegt eben nicht an der Harmlosigkeit des Virus, sondern an den notwendigen strikten Maßnahmen der Bundesregierung (Sperrung von Altersheimen für Besuche, Hausisolation für mögliche und tatsächliche Covid19-Erkrankte, Zugangsbeschränkungen für Krankenhäuser, „Runterfahren“ des öffentlichen Lebens, Ausgangsbeschränkungen) die glücklicherweise zum Erfolg geführt haben: Das sind die Fakten.

Anders ist es mit den zahlreichen Fake News, die seit Wochen vor allem via SocialMedia-Kanäle über uns gekübelt werden: Aus heutiger Sicht wissen wir nicht mit Sicherheit, wo und wie das Virus ursprünglich entstanden ist und wie es sich dann verbreitet hat. Und Ja: Praktisch die gesamte Welt ist nicht nur vom Virus betroffen, sondern dieses schädigt indirekt auch die Wirtschaft weltweit. Daher wäre es auch mehr als spekulativ, anzunehmen, dass Staaten weltweit (darunter die einflussreichsten Großmächte China, USA und Russland) „auf Befehl“ ihre überlebenswichtige Wirtschaft in den Keller fahren würden: mit Sicherheit niemals. Ähnlich ist es auch mit den meisten anderen kursierenden FakeNews, denen wir zu Recht misstrauen sollten: diese bringen uns nämlich zu häufig unnützerweise in Panik als die Tatsachen.

Und ja: natürlich ist unsere Wirtschaft wichtig, ja essentiell: Alle Maßnahmen weltweit, auf EU-Ebene und in den einzelnen Staaten sind darauf ausgerichtet, auch jetzt in der Krise so weit wie möglich, mit immensen Geldsummen Arbeitsplätze zu erhalten, Betrieben das Überleben zu sichern und durch Stärkung der Wirtschaft im Kleinen wie im Großen unseren Wohlstand zu erhalten. Dafür sollten wir dankbar sein, auch wenn nicht alles rasch so klappt, wie es vielleicht sollte oder müsste. Diese Krise stellt nun mal alle vor bislang ungekannte Herausforderungen. All dies inklusive einem behutsamen (in Beobachtung der Infiziertenzahlen) „Hochfahren“ der Wirtschaft ist selbstverständlich zum Wohle aller auch notwendig.

Trotz der allseits bekannten Tatsachen über die Gefährlichkeit des Virus (erwiesenermaßen übrigens auch für Kinder) mehren sich leider seit Wochen immer mehr selbst ansonsten intelligente Menschen zu Wort, welche eine Aufhebung aller Schutzmassnahmen und eine vollkommene Rückkehr in die „Normalität“ fordern. Bei einigen wenigen vermute ich dahinter naive Dummheit, gefährliche Ignoranz oder rücksichtslose Egomanie, bei den allermeisten hingegen glaube ich die Hintergründe zu verstehen: Eltern, die es gewohnt sind, sich nur am Morgen, am Abend und am Wochenende mit ihren Kindern zu beschäftigen, haben durch die Corona-Krise plötzlich bemerkt, dass sie -und das meine ich durchaus verständnisvoll- mit ihren Kindern maßlos überfordert sind und die sie nun unbedingt wieder der Schule überlassen wollen: Daher auch der lautstarke Schrei nach Öffnung der Schulen und anderen Betreuungs-Einrichtungen für Kinder. Das ist alles nachvollziehbar. Und wer nur mehr Ausgaben hat aber kaum noch Einnahmen, steht natürlich auch nahe der Verzweiflung, wenn er seinen Betrieb geschlossen halten muss.

Der Wunsch nach unserer Rückkehr ins „normale Leben“ ist verständlich, berechtigt und auch richtig. Aber auch wenn meist „die leidende Wirtschaft“ als Vorwand vorgeschoben wird: Eines wird uns jedoch nicht erspart bleiben, uns selbst die entscheidenden Fragen zu stellen:

Was treibt uns -ehrlich analysiert- dazu, von der Politik die Öffnungen zu fordern? Das wichtige Anliegen, dass es „der Wirtschaft“ und den anderen wieder gut geht? Oder ist es vielmehr die eigene Überforderung, wenn das bisherig gewohnte Leben mal ein paar Wochen lang nicht mehr wie gewohnt weitergeht? Streben wir mit unseren Forderungen tatsächlich das Wohl unserer Mitmenschen, auch jener mit Vorerkrankungen und als und schwache Menschen an? Oder wollen nur WIR selbst raus aus den Grundrechtebeschränkungen, die uns psychisch erdrücken und überfordern?

Es gibt wie bei fast allen auftretenden schweren Problemen im Leben (auch wenns noch so schwer fällt) auch hier nur eine sinnvolle Antwort: Bewahren wir uns einen klaren Kopf: Aus Angst oder Verzweiflung oder Überforderung hingegen treffen wir zumeist die falschen Entscheidungen. Nur mit einem klarem Kopf lässt sich erkennen, was Sache ist und was notwendig ist zu tun:

Es geht natürlich auch um uns selbst und um unser Wohlbefinden, aber bei weitem nicht nur: Wir sind EINE Menschheit aus verschiedensten Kulturkreisen, Bildungsschichten und auch Altersgruppen. Wir stehen in Krisenzeiten nicht nur als Einzelpersonen oder als Kleinfamilie in unserer Verantwortung, sondern es geht auch um „uns alle“, auch wir uns gegenseitig gar nicht kennen: Wir alle gehören zusammen. Und so kann und darf es uns nicht egal sein, wenn andere sterben, weil wir nicht leiden wollen.

Das macht uns Menschen aus: Wir sind die „die Krone der Schöpfung“: Wir sind die „Corona“: Beweisen wir das mit Liebe, mit unserem solidarischen Handeln: Allein dafür lohnt es sich, auf eigene Grundrechte zu verzichten:

Es liegt nicht an der Gesellschaft, es liegt ganz an uns persönlich und an unserem Verantwortungsbewusstsein, ob sich das Corona-Virus wieder stark vermehren wird und (abgesehen von einem vielleicht weiteren notwendigen Shutdown) viele weitere Menschen daran sterben werden. Werden wir daher nicht unvorsichtig und leichtsinnig in Bezug auf diesen leider tödlichen Virus, der uns vermutlich noch lange beschäftigen wird. Halten wir uns nach wie vor an die notwendigen Vorgaben der Behörden (vor allem Abstand halten, Masken und Händewaschen), auch wenn wir gefühlsmässig jetzt schon voll ausbrechen möchten. Vielleicht bleiben uns dann ja neben der „guten Tat“, anderen Menschen das Leben gerettet zu haben, auch weitere Shutdowns erspart. Hoffentlich.

 

Weitere interessante Kommentare und Analysen:

- Osterkommentar 2020: Entscheiden wir uns für das Leben!

- Analyse: Die Allgegenwart der großen Depression

- Analyse zum Wahlsieg von Donald Trump: Don’t Worry and Keep Cool

- Die kapitalistischen Alt-68er und die Vernunft des Volkes

Dienstag, 28. Februar 2012, von Elmar Leimgruber

2,4 Millionen Unterschriften gegen ACTA

Kritiker: ACTA bringt eine vollständige Internet-Überwachung, ist gegen die Meinungsfreiheit und schützt Großkonzerne.
Foto: avaaz.org

Mehr als 2,4 Millionen Menschen haben nach Angaben des EU-Parlaments eine Petition gegen das Anti-Piraterieabkommen ACTA unterschrieben, die am heutigen  28. Februar im EU-Parlament eingereicht wird. Die Unterstützer der Petition fürchten, ACTA könnte die Meinungsfreiheit im Internet beschneiden. Der Petitionsausschuss kann nun entweder einen Bericht zur Abstimmung in der Plenartagung des EU-Parlaments vorbereiten oder die EU-Kommission auffordern, auf die Einwände der Bürger einzugehen. Neben verschiedenen NGOs engagieren sich unter anderem auch Journalistenverbände gegen ACTA.

Erminia Mazzoni, die Vorsitzende des Petitionsausschusses, sagte, sie halte es für die Pflicht der Abgeordneten, in Krisenzeiten zu beweisen, dass die EU auf die Sorgen der Bürger reagiert. ACTA werde nun im Europäischen Parlament genauestens untersucht, erklärte Mazzoni vor der Übergabe der Petition. Es komme nun darauf an, Freiheit im Internet und den Kampf gegen Produktpiraterie zu verbinden, versprach Mazzoni.

In einem knappen Monat sammelte allein die US-amerikanische Internet-Plattform Avaaz mehr als 2,4 Millionen Online-Unterschriften gegen das Anti-Piraterieabkommen ACTA. Am Dienstag (28.02.2012, 12:30 Uhr) werden die Unterschriften dem Petitionsausschuss des EU-Parlaments überreicht. Der Petitionsausschuss wird die Eingabe prüfen und entscheiden, ob sie angenommen werden kann. Die Überprüfung dauert normalerweise ein bis zwei Monate, kann in Ausnahmefällen aber schneller erfolgen. Abgelehnt werden Petitionen beispielsweise, wenn sie nicht unter die Kompetenzen der EU fallen.

Der Petitionsausschuss selbst hat zwar keine rechtlichen Vollmachten und versucht daher, Probleme außergerichtlich und in Zusammenarbeit mit lokalen oder nationalen Behörden zu lösen. Akzeptiert der Ausschuss aber die Petition, können die Abgeordneten auch die EU-Kommission um eine Einschätzung der Vereinbarkeit von ACTA mit EU-Recht bitten. Der Petitionsausschuss kann auch andere relevante Ausschüsse des EU-Parlaments einbeziehen. In besonders schwerwiegenden Fällen kann der Petitionsausschuss auch dem Plenum des Parlaments einen ausführlichen Bericht zur Abstimmung vorlegen. Die EU-Kommission hat dahingehend bereits eine Anfrage an den Europäischen Gerichtshof gestellt.

Das Anti-Piraterieabkommen ACTA soll Urheberrechte international besser schützen. Kritiker befürchten aber, dass dadurch Verbraucherrechte zugunsten weniger Großunternehmen eingeschränkt werden. Auch gefährde die Anwendung der ACTA-Regeln im Internet Meinungsfreiheit und andere Grundrechte. Das EU-Parlament steht derzeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, da ACTA nur mit Zustimmung der EU-Abgeordneten rechtskräftig wird.

Freitag, 17. Februar 2012, von Elmar Leimgruber

EU-Parlament sorgt sich um EU-Grundrechte in Ungarn

Ungarns Regierungschef Victor Orban vor dem EU-Parlament
Foto: © EU-Parlament

Ungarn mit seinem Regierungschef Victor Orban (Fidesz) steht unter Beobachtung des EU-Parlaments. In einer nicht bindenden  Resolution wird die EU-Kommission aufgefordert, mögliche Änderungen und Umsetzungen der ungarischen Gesetze genau zu verfolgen. Das Europäische Parlament ist “zutiefst besorgt über die Lage in Ungarn in Bezug auf die Praxis der Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Achtung und den Schutz der Menschenrechte und der sozialen Rechte, die Gewaltenteilung, die Gleichheit und das Diskriminierungsverbot”.

Ungarn muss die Grundwerte der EU einhalten, sind die Abgeordneten überzeugt. Das EU-Parlament hat daher am Donnerstag entschieden, zu untersuchen, ob EU-Rechte und Grundwerte in Ungarn geachtet werden. Zusätzlich zum Bericht wird dann darüber entscheiden, ob Artikel 7 des EU-Vertrags aktiviert werden soll. Artikel 7 wird benutzt, um eine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundwerte der Union zu prüfen. Das Parlament beauftragt den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres in Zusammenarbeit mit der Kommission, dem Europarat und der Venedig-Kommission weiterzuverfolgen, wie die Empfehlungen der Kommission und des Europäischen Parlaments umgesetzt wurden und hierzu einen Bericht vorzulegen.

Die Abgeordneten fordern konkret die Kommission dazu auf, die Rechtsvorschriften Ungarns und ihre Umsetzung sorgfältig auch darauf hin zu prüfen, ob sie nicht nur buchstabengetreu, sondern auch mit dem Geist der europäischen Rechtsvorschriften im Einklang stehen. Die Kommission soll eine eingehende Studie in Auftrag geben, um die folgenden Punkte zu gewährleisten:

- die vollständige Unabhängigkeit der Justiz,
- dass die Regelungen über die ungarische Nationalbank mit den Rechtsvorschriften der EU vereinbar sind,
- dass die institutionelle Unabhängigkeit in Bezug auf Datenschutz und Informationsfreiheit wiederhergestellt und garantiert ist,
- dass die Befugnis des Verfassungsgerichts zur Prüfung sämtlicher Gesetze in vollem Umfang wiederhergestellt wird, einschließlich des Rechts auf Prüfung von Haushalts- und Steuergesetzen,
- dass die Medienfreiheit und der Medienpluralismus im Wortlaut und bei der Durchführung des ungarischen Mediengesetzes garantiert werden,
- dass das neue Wahlgesetz den demokratischen Normen der EU entspricht und der Grundsatz des politischen Wechsels geachtet wird,
- dass das Recht auf Ausübung politischer Opposition auf demokratischem Wege innerhalb und außerhalb der Institutionen gewährleistet ist,
- dass das Gesetz über Kirchen und Glaubensgemeinschaften die Grundsätze der Gewissensfreiheit achtet und auch davon Abstand genommen wird, die Registrierung von Glaubensgemeinschaften einer Billigung durch das Parlament Ungarns mit Zweidrittelmehrheit zu unterwerfen.

Die ungarischen Behörden indes müssen den Empfehlungen, Einwänden und Forderungen der Kommission, des Europarats und der Venedig-Kommission nachkommen und die betroffenen Gesetze unter Einhaltung der Grundwerte und Normen der EU abändern, heißt es in der von Fraktionen S&D, ALDE, Grünen/EFA und der VEL/NGL-Fraktion vorgelegten Entschließung. Der Text wurde mit 315 Ja-Stimmen bei 263 Nein-Stimmen und 49 Enthaltungen angenommen.

 

 

Zum Hintergrund der Aktion des EU-Parlaments: Am 18. April 2011 hat das ungarische Parlament die neue Verfassung angenommen, die am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist. Am 17. Januar 2012 hat die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn in drei Angelegenheiten eingeleitet und hat daher auch Regierungschef Victor Orban bereits am 18. Januar nach Straßburg zitiert: in Bezug auf die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank, die Herabsetzung des verbindlichen Ruhestandsalters von Richtern von 70 auf 62 Jahre und die Unabhängigkeit der Datenschutzbehörde. Die Kommission hat die staatlichen Stellen Ungarns außerdem um weitere Informationen über die Unabhängigkeit der Justiz ersucht hat. Die ungarische Regierung hat einen Monat Zeit, um darauf zu reagieren.

Samstag, 18. Dezember 2010, von Elmar Leimgruber

WikiLeaks-Enthüllungen: Journalistenvereinigungen verurteilen Zensur

Wikileaks-Logo: www.wikileaks.org bzw. www.wikileaks.ch

Nach den WikiLeaks-Enthüllungen von US-Botschaftsdepeschen haben mehrere Regierungen Webseiten und Medien zensiert. Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert die staatlichen Maßnahmen, den Zugang zu WikiLeaks-Seiten zu sperren und Ausgaben von Printmedien mit Berichten über die Dokumente zu verbieten. Die Zensurmaßnahmen sind ROG zufolge “unverhältnismäßig” und “verletzen das Recht auf Informationsfreiheit”. Mit WikiLeaks solidarisieren sich mittlerweile auch weitere Journalistenorganisationen wie beispielsweise der Deutsche Journalisten Verband (DJV) und der österreichische Journalisten Club (ÖJC) (Zum Thema siehe auch den Kommentar auf meinsenf.net bzw. auf redakteur.cc).

“Es ist mit den Grundsätzen der Meinungsfreiheit nicht vereinbar, wenn Politik und Wirtschaft versuchen, Zensur auszuüben”, mahnt DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. “Dies wird im Fall Wikileaks in massiver Weise praktiziert.” Es sei deshalb gut und notwendig, dass sich einige Zeitungen jetzt klar zu den gegen Wikileaks gerichteten Zensurversuchen positionierten. Das WikiLeaks-Material entbinde Journalisten nicht von ihrer Pflicht zur Recherche. “Die Leser und Zuschauer müssen sich darauf verlassen können, dass das Material authentisch ist.” Deshalb ersetze WikiLeaks keineswegs den Journalismus, sondern bereichere ihn. “Wer die Quelle unterdrückt, schadet dem Journalismus”, so DJV-Vorsitzender Konken.

WikiLeaks sei zwar kein journalistisches Produkt, aber ein wichtiger Informant für Journalisten und “der Informantenschutz ist einer der Grundpfeiler der journalistischen Arbeit und damit Bestandteil der Pressefreiheit,” schreibt der ÖJC. “Die Einschränkung der Verbreitung von Information widerspricht der freien Meinungsäußerung und ist daher ein Anschlag auf die Pressefreiheit und die Grundrechte”, begründet ÖJC-Präsident Fred Turnheim die Solidarität des ÖJC mit WikiLeaks.

Mit Online-Sperrungen will die US-amerikanische Luftwaffe laut ROG Soldaten und Angestellte der Armee daran hindern, die veröffentlichten Dokumente des Außenministeriums einzusehen. Nach Informationen des “Wall Street Journal” ließ die Air Force den Zugang zu mindestens 25 Internetseiten von Medien und Blogs blockieren. Damit sind unter anderem die Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften wie “The Guardian”, “Le Monde”, “Der Spiegel” und “El País” ohne Sondergenehmigung nicht mehr von Computern des Militärs aus zugänglich.

Zuvor hatte am 3. Dezember das Weiße Haus die Bundesbehörden angewiesen, Beschäftigten nicht ohne Genehmigung den Zugriff auf die Dokumente von Arbeitscomputern aus zu erlauben. Wenige Stunden später ließ die Kongressbibliothek (Library of Congress) den Zugang zu WikiLeaks von ihren Computern aus sperren.” Die Zensurmaßnahmen sind eine unverhältnismäßige und gefährliche Antwort und verletzen das Recht auf Informationsfreiheit”, so ROG. Mit ihren Zensurmaßnahmen gerieten die USA in die Nähe von autoritären Staaten wie China, wo Seitensperrungen Alltag sind.

In Ländern mit starker Online-Überwachung wie China oder Thailand sind die Internetseiten von WikiLeaks seit Veröffentlichung der Geheimdokumente laut ROG nicht mehr erreichbar. Pakistan hat Seiten der Internet-Plattform blockieren lassen, die Dokumente zu dem südasiatischen Land enthalten. Und in Marokko wurden laut ROG mehrere Zeitungsausgaben verboten, die über die WikiLeaks-Veröffentlichungen berichtet hatten.

Dienstag, 27. Juli 2010, von Elmar Leimgruber

Barenboim: Frieden heisst, den ersten Schritt auf den anderen zugehen


“Wie kann man verkünden, dass man Frieden will, ohne allen Menschen die gleichen Grundrechte einzuräumen,” fragte gestern der der jüdische Stardirigent Daniel Barenboim bei seiner Eröffungsrede der Salzburger Festpiele. Friede sei mehr als ein Zustand der Nicht-Aggression: “Friede verlangt Perfektion, nämlich die Perfektion von Gerechtigkeit, Strategie und Mitgefühl.”

Friede könne demnach nur erreicht werden, “wenn eine für alle Beteiligten günstige Lösung gefunden werden kann, eine Lösung, die für alle gerecht, in strategischer Hinsicht für alle von Vorteil und in Bezug auf alle moralisch vertretbar ist. Zu warten stellt in keinem Fall eine Option dar, denn wenn man wartet, gestattet man es bloß ungeduldigen, militanten Elementen, die Oberhand zu gewinnen,” erläuterte der bereits seit Kindestagen auch erfolgreiche Pianist seinen Standpunkt.

“Die wirklich brennende Frage ist nicht die, ob die Lösung in der Erschaffung eines Zweivölkerstaats oder in der eines legitimen und souveränen palästinensischen Staats besteht. Die wirklich aktuelle Frage ist die, ob beide Parteien willens sind, aufeinander zuzugehen”, bezog der Dirigent erneut zum Konflikt im Nahen Osten Stellung: “Zu warten, bis der andere zu einem kommt, ist eine kurzsichtige Taktik, eine, die seit mehr als sechzig Jahren erfolglos geblieben ist. Man hat oft gesagt, dass Gerechtigkeit Opfer verlangt, aber was für ein Opfer stellt die Aufhebung der Besetzung palästinensischen Gebiets und der Abriss jüdischer Siedlungen dar?”

Jetzt sei es an der Zeit, die einerseits bewunderten und andererseits verachteten Eigenschaften des jüdischen Volkes, “die hohe Moral, das Gerechtigkeitsempfinden und die Intelligenz wieder zu entdecken, sich um eine universelle Moral zu bemühen, eine Moral, die wir nicht nur auf uns selbst anwenden, sondern auf alle Völker, einschließlich des palästinensischen,” forderte Barenboim: “Es gibt keine andere Lösung, wenn der Staat Israel eine Zukunft haben will und wenn die Palästinenser irgendwann in den Besitz ihrer Grundrechte gelangen sollen”.

Und jetzt sei auch der richtige Zeitpunkt, “sich des Einflusses bewusst zu werden, den ein internationales Festival von dieser Bedeutung, von solch hohem künstlerischem Niveau und mit solch einer illustren Geschichte haben könnte. Und vor allem ist es der richtige Zeitpunkt, einmal zu überlegen, welche Verantwortung sich aus einem solchen Einfluss ableitet. Diese Verantwortung besteht nämlich darin, eine Quelle der Stärke und der moralischen Autorität darzustellen, mit deren Hilfe man extremistische, fundamentalistische Ideologien de-radikalisieren oder ihnen entgegenwirken kann. Und sie besteht auch darin, ein Forum für Gespräche über die notwendigen Voraussetzungen für Frieden abzugeben”, erklärte der Dirigent.

Musik biete zwar sowohl die Möglichkeit, die Hässlichkeit der Welt zu vergessen, und verleihe die Fähigkeit verleiht, die Welt und ihre Gräuel zu verstehen und zu transzendieren, aber es erfülle ihn dennoch mit Schmerz: “Ich fühle mich persönlich zerrissen von jenem Bruch, der zwischen Israelis und Palästinensern besteht, demselben Bruch, der auch Israel daran hindert, eine praktikable Lösung für die Zukunft zu finden. Nichts, was ich sage, kann diesen Bruch heilen, keine Sonate, Symphonie oder Oper kann die tiefe Kluft zwischen zwei Völkern, die nicht willens sind, die notwendigen Schritte zur gegenseitigen Annäherung zu machen, schließen,” so Barenboim.

Hier ist die Rede Daniel Barenboims in voller Länge abrufbar.

Weitere Beiträge über Daniel Barenboim:

- Das Brahms-Requiem interpretiert von Barenboim (CD-Besprechung)

- Barenboim oder wie das Leben so spielt (Konzert-Kritik)

- Barenboim und der Gottesdienst (Konzert-Kritik)

- Barenboim und das spirituelle Opfer (Konzert-Kritik)

- Barenboim und der Frühling (Konzert-Kritik)

- Barenboim, der Renaissance-Musiker (Konzert-Kritik)

Und hier können Sie der Musik von Daniel Barenboim als Dirigent und Pianist lauschen: