Mit ‘Gehirn’ getaggte Artikel

Freitag, 14. Dezember 2012, von Elmar Leimgruber

Wien: Schlüssel-Gen für Gehirnentwicklung entdeckt

Gentechnisch veränderter Mausembryo am 12. Tag der Entwicklung. Zellen, die das Tubb5-Protein bilden, fluoreszieren grün (besonders auffällig im Gehirn und Rückenmark).
Foto: © IMP

Ist die Gehirnentwicklung gestört, führt dies unter anderem zu einem krankhaft verkleinerten Kopf. Oder umgekehrt: Wenn Kinder mit dieser als Mikrozephalie bezeichneten Störung (dies betrifft eines von 10.000 Kindern) zur Welt kommen, liegt die Ursache in einer fehlerhaften Entwicklung des Gehirns. Die Betroffenen sind geistig schwer beeinträchtigt und ihre Lebenserwartung ist deutlich verringert. Auch bestimmte Fälle von Autismus und Schizophrenie werden mit der Regulation der Gehirngröße in Verbindung gebracht.

Neurobiologen am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) haben nun eines der Schlüssel-Gene für die menschliche Gehirnentwicklung identifiziert. Mutationen dieses Gens führen zu schweren Entwicklungsstörungen. Einige bekannte Krankheitsbilder könnten damit erklärt werden. Die Arbeit “Mutations in the beta-tubulin Gene TUBB5 Cause Microcephaly with Structural Brain Abnormalities” erschien am 13. Dezember 2012 im Online-Journal “Cell Reports”.

Größenvergleich zwischen einem gesunden Gehirn (links) und einem Mikrozephalus. Zeichnung nach einem coronaren Schnitt durch ein menschliches Hirn.
Grafik: © IMP

Der australische Biologe David Keays, der am IMP eine Forschungsgruppe leitet, hat gemeinsam mit seinem Doktoranden Martin Breuss ein für Mikrozephalie verantwortliches Gen namens TUBB5 identifiziert. Es gehört einer Familie von Genen an, die Varianten des Proteins Tubulin produzieren. Aus Tubulin baut die Zelle ihr inneres Skelett auf, das sowohl bei Bewegungen als auch bei der Teilung von Zellen eine wichtige Rolle spielt.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Monash-Universität (Australien) konnten die IMP-Forscher im Gehirn ungeborener Mäuse gezielt die Funktion von TUBB5 stören. Dies führte zu Veränderungen im Stammzellen-Pool und beeinträchtigte die Wanderung der Nervenzellen. Beides – der ungehinderte Nachschub von Neuronen aus dem Stammzell-Reservoir und ihre korrekte Positionierung am Bestimmungsort in der Hirnrinde – sind wichtige Voraussetzungen für die Gehirnentwicklung.

Diese Vorgänge sind auch aus einem evolutionären Blickwinkel interessant. Die Anzahl der Nervenzellen relativ zum Körpergewicht und ihre Anordnung in einem stark gefalteten Großhirn korrelieren mit der Entwicklung von niederen Affen zu Primaten und schließlich zum Menschen. Gene, die entweder die Zahl oder die Wanderung der Neuronen beeinflussen, erlauben deshalb oft Rückschlüsse auf die genetischen Grundlagen dieser Evolution.

Um zu überprüfen, ob die an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse auch auf den Menschen anwendbar sind, arbeitet David Keays mit Klinikern der Pariser Sorbonne zusammen. Das französische Team unter Jamel Chelly untersuchte 120 Patienten, deren Gehirnstruktur krankhaft verändert war und die unter starken Behinderungen litten. Bei drei betroffenen Kindern fanden sie ein mutiertes TUBB5-Gen. Für David Keays ist die Aufklärung der Funktion von TUBB5 eine wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Gehirnentwicklung. Und er fügt hinzu: “Unsere Arbeit ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung an Tiermodellen auf die Humanmedizin übertragen lassen.”

Für die Mediziner ist ein solch ursächlicher Zusammenhang eine wertvolle Information. Sie können Eltern von schwer entwicklungsgestörten Kindern genetisch beraten und ihnen unter Umständen die Angst vor weiteren Schwangerschaften nehmen. Langfristig ist damit auch die Hoffnung verknüpft, eines Tages mit
gezielten Therapien helfen zu können. Die Ursachen des verminderten Gehirnwachstums können -neben einem Gendeekt- umweltbedingter Stress (zum Beispiel Alkoholmissbrauch, erhöhte radioaktive Strahlung) aber auch virale Infektionen (etwa eine Rötelnerkrankung in der Schwangerschaft) sein.

Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung und wird dabei maßgeblich von Boehringer Ingelheim unterstützt. Mehr als 200 ForscherInnen aus über 30 Nationen widmen sich der Aufklärung grundlegender molekularer unellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen und Krankheitsmechanismen zu entschlüsseln.

Donnerstag, 12. Juli 2012, von Elmar Leimgruber

Wiener Studie: Herzschwäche führt zu Appetitlosigkeit

Die Herz-Hirn-Bauch-Achse hat große Bedeutung für Diabetes und Herzinsuffizienz: Wie eine aktuelle Studie der MedUni Wien zeigt, wirkt das vom Herzen erzeugte Hormon BNP auch appetithemmend. Das Herz reagiert demnach nicht nur auf Hormone, es produziert einige dieser Botenstoffe auch selbst. Diese Erkenntnis eröffnet neue Therapiechancen für Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz oder Diabetes.

Bei einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) wird beispielsweise eine erhöhte Menge des Hormons BNP (B-Typ natriuretisches Peptid) freigesetzt. Vermehrt produziert unterstützt dieses Hormon die Herzarbeit: So scheiden einerseits die Nieren mehr Natrium und Flüssigkeit aus, andererseits weiten sich auch die Gefäße aus. Bekannt war der deutliche Zusammenhang zwischen der chronischen Herzinsuffizienz mit Appetitlosigkeit und starkem Gewichtsverlust, die Ursache dafür hingegen ist eine wichtige neue Erkenntnis.

Ein Team der MedUni Wien rund um Martin Clodi von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel konnte diese Frage nun beantworten. Verantwortlich ist das Hormon BNP, es hat eine direkt appetithemmende Wirkung. Auch den dahinter stehenden Mechanismus beschreibt die Studie, die soeben im international führenden Fachmagazin “Diabetes” erschienen ist.

Bisher war nur bekannt, dass es eine in beide Richtungen wirkende Verbindung zwischen Gehirn und Magen-Darm-Trakt gibt. Diese sogenannte “Gehirn-Bauch-Achse” ist unter anderem maßgeblich für die chronischen Erkrankungen Reizdarm und Reizmagen verantwortlich. “Die nun entdeckte Herz-Hirn-Bauch-Achse dient scheinbar ebenfalls dazu, mit dem Gehirn wichtige Informationen auszutauschen und wesentliche Körperfunktionen zu regulieren und im Falle der Herzinsuffizienz
offenbar die Herzleistung durch Gewichtsreduktion zu erleichtern. Das eröffnet interessante Perspektiven für neue Therapiekonzepte der chronischen Herzinsuffizienz und von Diabetes”, so Clodi.

Mittwoch, 30. November 2011, von Elmar Leimgruber

Vitamine C und B12 für Herz und Gehirn

Reines Vitamin C-Pulver wird in Apotheken und Drogerien angeboten

Aktuelle Studien zeigen eine höhere Lebenserwartung und stabilere Gesundheit durch eine bessere Vitaminversorgung: Vitamin-C-Mangel ist riskant für Herzkranke und ein Vitamin-B12-Mangel für das Gehirn. Davor haben koreanische Forscher auf dem jüngsten Kongress der American Heart Association (AHA) in Orlando (Florida/USA) gewarnt. Demnach können herzkranke Menschen ihren Zustand verschlimmern oder sogar eher sterben, wenn sie zu wenig Vitamin C bekommen.

Menschen mit Herzinsuffizienz könnten also durch eine verbesserte Vitamin-C-Versorgung ihre Lebenswerwartung und -Qualität erhöhen. Zudem hat eine aktuelle US-amerikanische Studie im Fachjournal Neurology erneut bestätigt, dass Vitamin B12 (Cobalmin) nicht nur den Hirnabbau sondern auch das Nachlassen geistiger Fähigkeiten bremst. Dank ausreichender B-Vitamin-Zufuhr könnten wir demnach unser Gehirn noch im Alter leistungsfähig erhalten.

Schematische Darstellung des vereinfachten Stoffwechsel der Folsäure und deren Interaktion mit der Vitamin-B12-abhängigen Methionin-Synthasereaktion
Grafik: CC Stephan Gromer

In der aktuellen AHA-Studie wiesen 39 Prozent der 212 an Herzinsuffizienz leidenden Teilnehmer eine zu geringe Zufuhr an Vitamin C (Ascorbinsäure) auf. Es kam bei diesen eher zu Komplikationen und sie hatten ein doppelt so hohes Risiko, an ihrer ihrer Erkankung zu versterben, als Probanden mit einer guten Vitamin-C-Versorgung. Eine zu geringe Vitamin-C-Versorgung lässt einen Marker für Entzündungen und hohes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, das ultrasensitive C-reaktive Protein (hs-CRP), im Blut ansteigen. Hieraus schlossen die Forscher, dass eine angemessene Vitamin-C-Zufuhr einen niedrigeren hs-CRP-Spiegel zur Folge hat, welcher bei den Patienten wiederum zu einem längeren Leben ohne Herzprobleme führen könnte.

Hohe hs-CRP-Konzentrationen sind in der Vergangenheit bereits in Zusammenhang mit erhöhten Entzündungswerten im Körper gebracht worden. Eine Entzündung bzw. Schwellung der Arterien stellt einen Risikofaktor für kardiovaskulär bedingte Herzkrankheiten, Herzinfarkte, plötzliche Todesfälle, Schlaganfälle sowie periphere Arterienerkrankungen dar. Die “Physicians Health Study”, eine klinische Studie an 18.000 augenscheinlich gesunden Medizinern in den USA, zeigte als erste Untersuchung, dass erhöhte CRP-Werte mit einem dreifach erhöhten Herzinfarkt-Risiko in Verbindung stehen können.

Bereits vor etwa einem Jahr hatten britische Wissenschaftler eine Studie präsentiert, nach der eine Behandlung mit B-Vitaminen einschließlich Folsäure die Hirnschrumpfung bremsen kann. Nun zeigten Forscher aus Chicago, dass Vitamin B12 auch den Abbau geistiger Fähigkeiten verlangsamen kann. Dazu suchten sie bei 121 Personen über 65 Jahren erhöhte Blutkonzentrationen von Markern, die einen Vitamin-B12-Mangel anzeigen, unter anderem auch die Aminosäure Homocystein. Die Autoren der Studie setzten die Konzentrationen der Marker ins Verhältnis zur kognitiven Leistung der Probanden und bestimmten viereinhalb Jahre später das Gehirnvolumen mittels Magnetresonanztomografie (MRT). Das Ergebnis: Studienteilnehmer, bei denen die Werte für die Marker erhöht waren, schnitten in 17 Tests zur Messung der Hirnleistung deutlich schlechter ab als diejenigen mit normalem Vitamin-B12-Status.

Freitag, 16. Januar 2004, von Elmar Leimgruber

Das Gehirn des Musikers – funktionelle Unterschiede bei Berufsmusikern

Unterscheidet sich die Gehirnaktivität eines Profi-Violinisten gegenüber dem eines Amateurgeigers beim Spielen des gleichen Violinkonzertes? Können sich auch Amateure das Spiel auf der Geige vorstellen – ein bei professionellen Spielern häufig benutztes Trainingsverfahren – und was passiert dabei in ihrem Gehirn? Dies wurde in einer Studie* des Instituts für Medizinische Psychologie Tübingen von der Arbeitsgruppe um Dr. Martin Lotze erforscht, die jetzt in NeuroImage erschienen ist. Dabei zeigten sich deutliche Differenzen in den Gehirnaktivitäten von Berufsmusikern und Amateuren.
Acht Profi-Violinisten und acht Amateure wurden beim Spielen des Violinkonzertes in G Dur von W. A. Mozart (KV 216) mit funktioneller Kernspintomographie (fMRT) untersucht. Mit diesem Verfahren wird durch starke Magnetfelder die Hirnaktivität dargestellt ohne gesundheitliche Belastung für den Untersuchten.
Da es in der Kernspinröhre sehr eng und laut ist, eignet sich das fMRT nicht besonders gut für Studien, in denen es um Musik geht. Um dennoch Musiker zu untersuchen, wurde auf das Spiel mit dem tatsächlichen Instrument verzichtet, und die Seitengreifbewegungen der linken Hand ohne den Geigensteg durchgeführt. Während der fMRT-Untersuchung wurde zudem die Stärke der Muskelbewegung mittels Elektromyographie dargestellt. Bei dieser Untersuchung zeigten die Profis eine signifikant erhöhte Aktivität der Zielmuskeln. Sie leisten also effektiv mehr beim Spiel des Stückes. Im fMRT hingegen zeigten sie viel ökonomischere Aktivierungen des Gehirns. Diese verteilen sich nicht so stark wie bei den Amateuren über eine Vielzahl von Gehirnregionen, sondern konzentrieren sich vor allem auf drei Regionen: Erstens auf das kontralaterale primäre motorische Zentrum, das die präzise Bewegung steuert, zweitens auf die primäre akustische Hörrinde. Hier hat sich durch das jahrzehntelange Üben mit dem Instrument eine feste Verarbeitungsschleife gebildet, die automatisch beim Fingerspiel – auch ohne tatsächlich hörbare Musik – ein inneres Mithören aktiviert. Und drittens auf übergeordnete Areale im oberen Parietallappen, die motorische Bewegungsprogramme und sensorisches Feedback integrieren. Alle drei verstärkt aktivierten Gehirnregionen dürften für die erhöhte Qualität der Aufführung im Gegensatz zu den unökonomisch aktivierenden Amateuren mitverantwortlich sein.
Die gesteigerte Aktivität sowohl der taktilen als auch der auditiven Komponenten spiegeln eine bereits aus der Musikerforschung aufgezeigte verbesserte sensorische Kontrolle der Fingerbewegungen bei Profimusikern wider. Eine Ökonomisierung der motorischen Steuerung schafft dafür die notwendig Kapazität.
Auch beim vorgestellten Spiel des Musikstückes zeigen Amateurmusiker die für sie charakteristische unökonomische weit verteilte Gehirnaktivierung im Gegensatz zu den Profis. Interessanterweise sind jetzt die vorher beobachteten Verarbeitungsschleifen zwischen dem primären akustischen und dem motorischen Areal nicht aktiv – ein Hinweis darauf, dass dieser Verarbeitungsweg dem ausgeführten Musikspiel vorbehalten ist.