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Montag, 17. Oktober 2011, von Elmar Leimgruber

Informatiker bauen drahtlose Fahrradbremse

Professor Holger Hermanns präsentiert die drahtlose Bremse seines Drahtesels
Foto: Saar-Uni/Angelika Klein

Informatiker an der Universität des Saarlandes haben eine drahtlose Fahrradbremse entwickelt und deren Funktionsfähigkeit an einem sogenannten Cruiser Bike demonstriert. Darüber hinaus bewiesen sie die Zuverlässigkeit des Bremssystems mit mathematischen Methoden, die auch bei Steuersystemen von Flugzeugen oder chemischen Fabriken zum Einsatz kommen. Die drahtlose Bremse ist laut den Wissenschaftern zu 99,999999999997 Prozent sicher, „was bedeutet, dass drei aus einer Billiarde Bremsversuchen fehlschlagen“, erklärt Holger Hermanns, der an der Saar-Uni den Lehrstuhl für Verlässliche Systeme und Software leitet.

Das „Cruiser Bike“ ähnelt eher einem Easy-Rider-Motorrad ohne Motorblock als einem herkömmlichen Fahrrad. Doch gerade an der gradlinigen, langgestreckten Fahrradgabel fällt besonders gut auf, was das neu entwickelte Bremssystem so besonders macht: Weder schlängelt sich ein Bremskabel den Lenker hinunter, noch steht ein Bremsgriff für die Vorderbremse vom Lenker ab.

Um zu bremsen, muss der Fahrradfahrer lediglich den rechten Gummigriff am Lenker fest umgreifen. Je stärker er greift, desto stärker bremst, wie von Geisterhand, die Scheibenbremse im Vorderrad. Möglich macht dies ein Zusammenspiel von mehreren Komponenten. Im schwarzen Gummigriff ist ein Drucksensor integriert, der ab einem bestimmten Druck einen kleinen Sender aktiviert. Dieser sitzt in einem blauen Kunststoffkästchen von der Größe einer Zigarettenschachtel, das ebenfalls an der Lenkstange befestigt ist. Seine Funksignale gehen unter anderem an einen Empfänger am Ende der Radgabel. Dieser wiederum gibt das Signal an einen „Aktuator“ weiter, der es in eine mechanische Bewegung umsetzt, die letztendlich die Scheibenbremse greifen lässt.

Um die Ausfallssicherheit zu erhöhen, befinden sich in den Speichen des Hinterrades und an der Gabel des Vorderrades jeweils ein weiterer Sender. Sie fungieren als sogenannte Replikatoren, indem sie das Senden des Bremssignals wiederholen. Auf diese Weise soll sichergestellt sein, dass die entscheidende Funknachricht auch dann noch rechtzeitig ankommt, wenn die anderen Funkverbindungen zu langsam sind oder gar ganz ausfallen. Die Saar-Informatiker haben unter anderen herausgefunden, dass noch mehr Replikatoren nicht unbedingt noch mehr Sicherheit bieten. „Wenn es schlecht konfiguriert ist, können es auch ganz schnell drei aus fünf Bremsversuchen sein, die schiefgehen“, so Hermanns.

Die drahtlose Fahrradbremse
Saar-Uni/Angelika Klein

Mit der aktuellen Ausstattung schafft es das Cruiser Bike spätestens nach 250 Millisekunden zu bremsen, was bei einer Geschwindigkeit von 30 Kilometer pro Stunde einem Reaktionsweg von zwei Metern entspricht. Dabei wollen es die Forscher jedoch nicht belassen. „Es ist jetzt nicht mehr schwer, ein Antiblockiersystem und Antischlupfregelung zu integrieren. Das ist schnell gemacht.“ Nach ersten Gesprächen mit namhaften Herstellern sucht Hermanns bereits ein Ingenieursbüro, das die drahtlose Fahrradbremse umsetzt. Die Arbeiten zu der drahtlosen Fahrradbremse wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereiches „Automatic Verification and Analysis of Complex Systems (AVACS) unterstützt. Die Ergebnisse haben die Saar-Informatiker im Fachaufsatz „A Verified Wireless Safety Critical Hard Real-Time Design“ dokumentiert, der von der weltweiten Ingenieursorganisation IEEE publiziert wurde.

Die drahtlose Fahrradbremse stellt für die Forscher jedoch weitaus mehr als nur eine akademische Spielerei dar. „Drahtlose Netze funktionieren nie hundertprozentig, das ist technologisch bedingt“, erklärt Hermanns, der zusammen mit seiner Gruppe die drahtlose Fahrradbremse entwickelte. Dennoch gehe man zunehmend dazu über, Systeme drahtlos zu realisieren, die,wie eine einfache Fahrradbremse, immer funktionieren müssen. „Konkrete Pläne existieren zum Beispiel für den künftigen Europäischen Zugverkehr“, berichtet Hermanns und führt weiter aus, dass Experimente mit Zügen und Flugzeugen viel zu aufwändig seien und bei Fehlfunktion sogar Menschen gefährden könnten. Daher untersuchte seine Forschergruppe den Brems-Prototypen mit Rechenverfahren, die sonst bei Steuersystemen von Flugzeugen oder chemischen Fabriken zum Einsatz kommen. „Die drahtlose Fahrradbremse bietet uns die notwendige Spielwiese, um diese Methoden für den Einsatz in weitaus komplexeren Systemen zu optimieren“, so Hermanns.